„Yishun is Burning“, Choy Ka Fai ©Singapore Arts Museum

Ekstase in Pose

TANZPLATTFORM 2022 >>> Choy Ka Fai verschränkt Ballroom und Schamanismus, Körper und Technologie in „Yishun is Burning“ (HAU2, 16./17. März 2022). Dieser Text entstand im Rahmen der zweitägigen tanzschreiber-Schreibwerkstatt zur Tanzplattform 2022 unter der Leitung von Mareike Theile, Johanna Withelm und Alex Hennig. Inspiriert von der Lust am Text und im Austausch über Tanz und Tanzkritik wurde die eigene Schreibpraxis erweitert und herausgefordert. 

Text: Alica Minar

„Ich verlasse das Theater und erkenne, dass die Farben der Stadt viel lebendiger erscheinen. Die Sensibilität ist geweckt. Ich höre die Beats des turbulenten Rhythmus von Berlin und fühle mich mit einer anderen Weltmetropole verbunden, ich bin nach Yishun, Singapur, versetzt. Ich bin stolz darauf, was die zeitgenössische Szene zu bieten hat und wie Tanz Brücken baut, die Türen zur Freiheit des Ausdrucks öffnet.“

Choy Ka Fai hat sich mit dem Tänzer Sun Phitthaya Phaefuang (Amazon Sun) nach Yishun begeben um dort an multireligiösen Festen teilzunehmen. Sie transportieren diese Erfahrung und Recherchen für das Stück in einen zeitgenössischen Kontext und verschränken Bewegungsmaterial und Transzendenz mit Vouging, Ballroom, Queerness und Multimedialität.

Indem er die Beziehung zwischen Schamanismus und Tanz beleuchtet, erschließt Choy Ka Fai eine bunte Welt zwischen hier und dort, zwischen jetzt und damals. Er bietet uns eine ganze Reihe von Realitäten. Eine ausgeklügelte Dramaturgie, die sich in kleinere Teile gliedert, schafft eine komplexe und doch verständliche Komposition, in der die verschiedenen Welten aufeinander treffen können.

Die Zuschauer*innen können eine ganze Reihe von Technologien bewundern, darunter Live-Streaming und vorgedrehte Videos, kombiniert mit der analogen Tanzperformance von Amazon Sun und der Anleitung von Choy Ka Fai. Die Technologie spielt hierbei nicht die Rolle eines ausgefallenen Werkzeugs, sondern steht als sinnvoller und unabdingbarer Grundstein der Performance.

Die Bühne wird zum Schauplatz, wenn der Duft von Räucherstäbchen und die Vorstellung der Mitglieder der live Band aus Singapur die Sinne erreicht. Der Dokumentarfilm über die einwöchigen schamanischen Feierrituale verströmt seinen Rauch und Dampf von der Leinwand ins Theater.

Interviews mit einer Schamanin und einem Tänzer hinterfragen die Beziehung zu Körper, Geschlecht und Transzendenz. Sun sieht die Verbindung zwischen Schamanismus und Ballroom als eine Genderperformance, die das Überwinden der eigenen körperlichen Grenzen und Zuschreibungen, sogar das Überwinden der menschlichen Gestalt ermöglicht. Es wird uns angeboten, die Rolle von Gottheiten und König:innen im Schamanismus und im Ballsaal zu erfahren, ohne Vorurteile oder Interpretationen mitzuliefern.

Als wären wir gleichzeitig hier und dort, sehen wir den Haupttänzer, Amazon Sun, zwischen dokumentiertem Filmmaterial vergangener Zeiten und der analogen Performance von heute hin- und herreisen. Die Imagination entfaltet sich voll, als Sun gekleidet in neonblinkenden Sensorenschmuck in einen spielerischen zirkulierenden Dialog mit seinem sechsarmigen gottähnlichen Avatar auf der Leinwand eintritt. Wie weit kann sich unser Sein ausdehnen? Gibt es überhaupt eine Grenze für mögliche Modulationen?

Ein ritueller, eklektischer Party-Beat, begleitet von schrillen Texten, enthüllt den polyphonen Ruf von Yishun. Die Show erreicht ihren letzten Höhepunkt, als drei Voguer*innen die Bühne betreten und mit ihrem Tanz zu 80er-Jahre-Disco-Songs ein Ballsaal-Event präsentieren. Dadurch wird die Analogie zum Film „Paris brennt“ in vollem Umfang gewürdigt.

„Yishun is Burning“ ist eine Ode an die Freiheit des Ausdrucks und ein Gebet für ein erweitertes Bewusstsein von uns selbst. Eine vielschichtige, energiegeladene, gut zugeschnittene und dennoch respektvolle Reise in die feierlichen Rituale der heutigen Zeit, wo Tradition auf Hyperrealität trifft.

Fotos: “Yishun is Burning” von Choy Ka Fai © Singapore Arts Museum


„Yishun is Burning“ von Choy Ka Fai war am 16. und 17. März, im Rahmen der Tanzplattform Deutschland 2022, im HAU2 zu sehen.


Konzept, Dokumentation, Regie: Choy Ka Fai / Dramaturgie: Tang Fu-Kuen / Spirituelle Präsenz: Kali and Kuan Yin / Choreografie, Tanz Performance: Sun Phitthaya Phaefuang / Sound Design, Musikperformance: NADA ( Rizman Putra & Safuan Johari) und Cheryl Ong / 3D Visual Design & Technologie: Brandon Tay / Bildender Künstler: Sven Gareis / telematique / Licht, Installation, technische Leitung: Ray Tseng / Technische Leitung Studio Singapur: ARTFACTORY / Bühnenmanagement: Sanja Gergorić / Tourneeleitung: Tammo Walter / Produktion: Mara Nedelcu / Gasttänzer:innen: Magia Prodigy, Loki, Pavka, Jade Mugisha