„Hybrid traces #2“, Jenny Haack © Jenny Haack

Die mit dem Wollknäuel tanzen

Entwindet Momentkompositionen: Jenny Haack mit “Hybrid traces #2” am DOCK11.

Zwei Frauenkörper, gelöst aneinander gelehnt, die Köpfe auf die Schultern gelegt, im gedämpften Licht verharrend. Langsam lösen sie sich voneinander, Schritt für Schritt – und zwischen ihren Mündern entrollt sich ein weißes Wollknäuel, das die eine zwischen den Zähnen hält, während die andere den Faden zwischen ihren Lippen abwickelt. Ein schönes Anfangsbild für das tänzerische (Zwie-)Gespräch, in das sich Jenny Haack und Daniela Lehmann in “Hybrid traces #2” verwickeln – einer strukturierten Improvisation, begleitet von Meinrad Kneer am Kontrabass, den Videoprojektionen von Yoann Trellu und dem Licht von Emese Csornai.

Eine Szenegröße der Instant Composition ist Jenny Haack, die seit fünfzehn Jahren eigene Stücke kreiert und seit vier Jahren so gut wie ehrenamtlich das Improvisation Xchange-Festival für interdisziplinäre Performance ausrichtet. Haack ist eine der Berliner Künstler*innen, die ihren Weg ohne durchgängige Förderung gehen und sich mit dem DOCK11/EDEN***** auf einen treuen Partner verlassen können. Ungefördert entstanden ist auch “Hybrid traces”: Zwei unterschiedliche Abende in Folge hat Jenny Haack für vier Spieltage am DOCK11 konzipiert, den ersten als Tanzsolo mit Kontrabass und Percussion, den zweiten – den ich am Samstag besuchte – als Duo mit Bass sowie jeweils Licht und Video als ‚Gesprächspartnern‘.

In einer Folge von zehn Sequenzen variieren die fünf künstlerisch Beteiligten ihre Zusammenarbeit. Nach dem anfänglichen Tanzduo mit Kontrabass kommt zu einem Solo von Jenny Haack das Video ins Spiel: ein Lichtspalt, der sich über den bühnenmittig platzierten Basssaiten öffnet wie ein Vorhang. Nebeneinander gelegte Wollfäden wogen in der Animation wie Strömungslinien. Mit mehr Dynamik bewegen sich auch die Tänzerinnen. Aus den sachten Drehungen im Handgelenk werden Bewegungen, die eine Bedeutung suggerieren – den Wurf des Wollknäuels oder sein Aufwickeln; später sieht man Pferdchen hüpfen. Spiel und Handwerk: Das durchgängige Ineins von Abstraktion und Konkretheit in “Hybrid traces #2” erzeugt eine unbeschwerte Bedeutsamkeit, die fesselt, aber gelegentlich auch ins allzu Offensichtliche kippt.

Durch das Ziehen und Zupfen des auf dem Bühnenboden ausgelegten Wollfadens etwa nimmt dessen Umrisslinie fraktale Formen an – ein bestrickendes Bild. Wenn die beiden Tänzerinnen ihren Zeh in die entstehenden Schlaufen stellen, über den Faden springen oder sich darin verwickeln, dann wirkt das auf mich allerdings wie die etwas bemühte Einbeziehung des Objekts in die Improvisation. Spaß macht das Duett von Daniela Lehmann mit einem projizierten, beweglichen Kreis, den Yoann Trellu mal wie eine schützende Höhle um ihren Körper, mal wie einen Heiligenschein um ihren Kopf legt, als Gummiball scheinbar vom Boden abprallen oder sich zu einem Gliederwesen vervielfältigen lässt. Jenny Haack interagiert mit einer Zackenlandschaft, die wie ein EKG oder ein Seismogramm über die Bühnenrückwand zuckt, und sich, auf den Bühnenboden gezogen und gerundet, als anbrandende Wellen darstellt, durch die Haack rollt.

Erstaunliche Ausdrucksmöglichkeiten gewinnt auch der Kontrabass in Meinrad Kneers Händen: er wird unzimperlich angepackt oder behutsam berührt, dabei nicht nur mit dem Bogen gespielt, sondern im breiten Spektrum von Klopfen, Zupfen, Wischen bearbeitet. Mitunter entlockt Kneer dem Bass Klänge, die obertonreich wie Posaunen schallen oder wie eine Akkordeonmelodie klingen, dann wieder knarzen, hüpfen, schaben, gurren die Töne. Kneers Hände fliegen über den Korpus, prallen ab, nehmen eine Schwingung auf oder unterbrechen sie.

Wie in der Doppelbewegung zwischen dem räumlichen Hören und der tänzerischen Fingerfertigkeit des Bass-Virtuosen schwingt die Wahrnehmung zwischen einer eher globalen Sicht auf Bühne, Tanz und Klang und dem Registrieren präziser Details etwa in der Körpersprache der Tänzerinnen: Hier ein sacht auf den Boden aufgesetzter Handrücken, dort ein verschlungene Ornamente zeichnender Vorfuß. Haack ist agil und artikuliert bis in die Fingerknöchel, Lehmann ist von erdiger Eleganz. Beide sind versiert, wobei man Jenny Haack gelegentlich die Routine anzusehen meint: Sie hat im ganz auf den Moment fokussierten Schaffen ganz offenbar ihr Metier gefunden. Und so entwindet sich über etwas mehr als eine Stunde ein farbreiches, nuanciertes Beispiel der Momentkunst. Es ist gut zu wissen, dass in der performanceorientierten Tanzszene Berlins – in der vor allem Einsteiger*innen und Arrivierte Unterstützung finden und weniger die Choreograf*innen in der Karrieremitte – für Experimente wie “Hybrid traces #2” wenigstens ein Ort zur Verfügung steht.