„momentum“, Toula Limnaios © Dieter Hartwig

Oh, ewige Wiederkehr!

Die cie.toula limnaios glänzt mit versöhnlicher Leichtigkeit. In „momentum“ begegnet sie erstarrten Alltagsroutinen und materieller Übersättigung mit schwarzem Humor, Slapstick und Akrobatik-Einlagen. Weniger intensiv als sonst geht es dabei trotzdem nicht zu.

Ungewöhnlich hell und aufgeräumt erscheint das Bühnendekor in der Aufführungshalle der cie. toula limnaios an diesem Abend. Keine Erdhaufen, kein Laub, keine Nebelschwaden und auch keine Stricke — stattdessen: Weiße Seidenvolants, die von der Decke herabhängen, ein heller Designer-Esstisch, ein weißer Kühlschrank mit Glastür und ein Bärenfell-Teppich. Doch die makellose Minimalstkulisse weist bei genauerem Hinschauen Ungereimtheiten auf: Aus dem Bärenfell-Teppich, der eigentlich ein Pelzmantel ist, ragen die Hände und Füße einer Frau und in der klaustrophobischen Enge der Frischhalte-Vitrine aalt sich — wie ein weiteres Ausstellungsstück eines exquisiten Möbel-Showrooms — ein wohl geformter weiblicher Alabasterkörper.

Konzipiert wie ein Kammerspiel erzählt Toula Limnaios mit „momentum“ keine „zusammenhängende Geschichte, sondern eine Reihe von Episoden“. Im Mittelpunkt ihres zwischen Traum und Wirklichkeit schwebenden choreografischen Beziehungs-Mosaiks für acht Tänzer*innen steht ein gut situierter, aber resignierter Mann, der von der Routine seines luxuriösen Lebens ausreichend gesättigt ist (— das spiegelt auch die sparsame und wie durch ein leeres Haus hallende Piano-Musik von Ralf R. Ollertz ganz wunderbar wieder). Besagte Routine findet ihren Ausdruck unter anderem in einem Hausmädchen, welches dem einsamen Speisenden regelmäßig seine Mahlzeiten serviert — eine tragisch-komische Person: eine perfektionierte Hoffmann’sche Automatin, wenn man so will, die Butler-Gebaren à la „Dinner for One“ auffährt. In einer präzise durchchoreografierten Slapstick-Nummer etwa füttert sie ihrem Chef rechts und links die Möhren um die Ohren, ohne dabei die eigene in schwarze Uniform und weiße Schürze gebannte Contenance sowie ihr überspitztes Höflichkeitslächeln zu verlieren.

Der Hausherr wirkt distanziert bis beobachtend gegenüber dem disparaten Geschehen, zuweilen auch ein wenig süffisant, schlimmstenfalls gelangweilt. Überhaupt sind es vielmehr die anderen sieben Figuren dieses neu-aristokratischen Kammerspiels, die in guter alter Limnaios-Manier (— stellvertretend für den Hausherrn und sein Innenleben —) intensivste Seelenschau betreiben. Neben dem Hausmädchen, der Bärenfell-Lady und dem sexy Alabaster-Girl stecken auch ein Rollschuhfahrer, eine potentielle (Selbst)-Mörderin und zwei Liebhaber in der Krise. Im Kampf gegen sich selbst und die anderen reiben sie sich auf an der Sehnsucht nach mehr Freiheit, Leidenschaft und Intensität. Das alles tun sie mit dem unbedingten Willen den erstarrten Alltagsroutinen, in denen sie gefangen sind, zu entkommen.

Es sind Bilder voller Macht und Ohnmacht, die Limnaios hier nebeneinanderstellt: Der Rollschuhfahrer packt einen der Liebhaber an der Krawatte, liefert sich mit ihm ein rasant-akrobatisches Duell mit ungleichen Mitteln. Die potentielle (Selbst-)Mörderin, die zuvor in einem Parallel-Solo eine imaginäre Tatwaffe schwang, tritt zusammen mit dem zweiten Liebhaber auf die Bühne. Jeweils von einem Fischernetz umhüllt, schaffen sie es nicht über ihre eigenen Schatten zu springen und bleiben getrennt. Die Bärenfell-Lady schleicht wie eine Spionin mit betont „unauffälligem“ Verhalten über die Bühne und symbolisiert dabei noch am besten, woran es hier allen zu mangeln scheint: Am Gefühl noch zu existieren, und zwar als sie selbst. Die Absurdität der täglichen Maskerade und Selbst-Verstellung hängt allen Acht leibhaftig zum Halse heraus. Das karikiert auch eine der Abschlussszenen des Ensembles aufs Groteskeste, in der die Tänzer*innen ihre Körper wie (lautlose) Instrumente bearbeiten und sie dabei gehörig verstimmen.

Wäre „momentum“ ein Familienporträt aus gutem Hause, dann hätte seine Patina längst ein paar mächtige Risse … Am Ende der gut einstündigen Aufführung steht der Esstisch allein auf der Bühne. Der Rollschuhfahrer deckt ihn dieses Mal und lässt dabei im Fahrtwind sanft die Seidenvolants wehen. Ein paar Takte später nimmt der Hausherr hier gepflegt ein Glas Wein zu sich: Routinen können zu Alpträumen mutieren, wenn man darin erstarrt. Lebenskunst aber ist, der ewigen Wiederkehr des Immergleichen stets auf Neue mit Lust und Leichtigkeit zu begegnen. Da reicht es manchmal auch schon, nur ein Teil im Unendlichkeitspuzzle auszutauschen.