„Fleischsalat“, Zwoisy Mears-Clarke und Rike Flämig © Felipe Frozza

Bad im Fleischsalat

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In den Sophiensaelen beschäftigen sich Rike Flämig und Zwoisy Mears-Clarke mit Fleischsalat und blühenden Landschaften. Ihre Körper-Recherche ist dabei soziologische Studie und schalkhafte Unterhaltung.

In der Berliner Tanzszene häufiger zu bemerken ist in letzter Zeit die persönliche Begrüßung der Zuschauer*innen. So auch heute Abend, als sich Zwoisy Mears-Clarke mit Namen vorstellt und mir die Hand reicht, in der ein Bändchen mit der Aufschrift “These moments, your moments don’t go unnoticed” liegt.

Während wir Platz nehmen, wird im Hintergrund die Definition des Terminus “Mikroaggression” projiziert, die der Psychiater Chester Pierce in den 1970er-Jahren für die Beschreibung von im Alltag verwendeten Äußerungen, die als übergriffig erlebt werden, entwickelt hat. Ausgestattet mit dieser Information, die auch nach der Ausblendung weiter im Gedächtnis mitschwingt, beginnen die beiden Performer*innen nun, sich zeitlupenartig vom Publikum weg nach hinten zu bewegen. Während Rike Flämigs Bewegungen vor allem von Rückbeugen bestimmt werden, lässt Zwoisy Mears-Clarke beide Arme steif und zur Seite gezogen vom Körper wegdriften – beide sind mimisch fast unbewegt und werden nur von sphärischen Tönen begleitet, deren Intensität sich langsam steigert. Ein Lichtbalken wandert auf dem Boden, eilt den Performer*innen voraus und fällt wieder hinter sie zurück. Dann plötzlich bleiben sie stehen, um laut und fast hyperventilierend Luft zu holen. Es scheint, als sähen wir körperliche Reaktionen auf etwas, vielleicht auf eine kleine Äußerung, die “nicht so gemeint war”, doch zunächst konkretisieren die Performer*innen dies nicht. Die Bewegung steht hier klar im Fokus, sie deutet an und lässt Raum für Assoziationen, ohne dabei beliebig zu sein. Interessanterweise wirken die Körper der Performer*innen zwischenzeitlich wie von außen bewegt, so als seien es äußere Einflüsse, die auf sie einwirken. Doch dann ergreifen sie selbst wieder die Initiative und ironisieren den Mechanismus des “sich ein Bild von jemandem machen”: In Seitlage, mit kokettem Blick ins Publikum und mit angewinkelten Beinen liegen sie auf dem Boden. Ein Blubbern im Hintergrund und großes Gelächter, blitzt doch unwillkürlich das Bild der Meerjungfrau auf und mit ihm die Empfindung einer Diskrepanz zwischen Erwartung und Ist-Zustand der Situation. Warum erwarten wir eigentlich, dass die Performer*innen ihre Körper in einer bestimmten Art und Weise bewegen – sie könnten doch einfach Meerjungfrauen sein, oder?

Die tänzerische Recherche wird kontinuierlich durch Episoden performativer Pointierungen ergänzt, etwa wenn Flämig sagt: “Ich fänd’ gut, wenn ihr mich einfach mal so betrachtet, als hättet ihr keine Vorurteile über Ossis” und das Gesagte im Folgenden durch ruckartige, technoide Bewegungen konterkariert. Nachdenklicher stimmt uns Mears-Clarke mit der Aufforderung: “It’d be great, if you’d recollect 500 years of slavery, (…) if you’d recollect that the wealth you benefit from is due to colonial history.” Die begleitenden Bewegungen sind behutsam, dann aber scheinen sie hilfloser zu werden, der Körper scheint herumgestoßen zu werden, ohne der Wucht der Beeinflussung etwas entgegen setzten zu können. Das Taumeln der Körper wirkt wie die Visualisierung von Alltagsdiskriminierung: Wir sehen hier Hilflosigkeit und ein Sichaufrappeln, so dass die körperliche Bewegung uns vor allem auch die Wirkung von Aggression und Diskriminierung auf den seelischen Zustand zeigt.

Publikumswirksam sind dann die beiden Szenen, in denen auf einem Krankenhaus-Rollwagen Buletten und eine riesige Schlüssel Fleischsalat seziert und auf ihre Bestandteile hin analysiert werden, und die Videopräsentation über die “blühenden Landschaften”, die Kohls Äußerung zur ökonomischen Perspektive der neuen Bundesländer nach der Wiedervereinigung pointiert auf die Schippe nimmt. Westdeutschland, so Flämig im 80er-Jahre-Merkel-Look, befinde sich auf dem absteigenden Ast; das Kudamm-Karree aber habe Potential! Die Kamera schweift dabei durch parkhausartige Flure, verlassene Gänge und an tristen Hauswänden entlang. Der Spieß wird, etwas plakativ und lustig zugleich, umgedreht und die ungeschickte Formulierung Kohls als mitverantwortlich für die Bildung von Stereotypen enlarvt.

Eigentlich erwartbar und doch überraschend, nimmt Mears-Clarke dann ein Bad in der Pampe, die zuvor als Lieblingsspeise des “white deutsche Mann” bestimmt wurde. Wow, denkt man, wie eklig, als Mears-Clarke und dann auch Flämig in der Mayonnaise mit kleinen Fleischschnipseln auf dem Boden umherglitschen. Dennoch wirkt dieses mutige Bad fast wie ein Appell an das Publikum, sich eine Offenheit zu bewahren und die eigenen, einschränkenden Wertungen auf ihre Gültigkeit hin zu befragen. Als ich den Saal verlasse, habe ich Lust auf Fleischsalat.