Saori Hala gedenkt auf dem SODA WORKS Festival am HZT mit „Da Dad Dada“ eines Musical-Tänzers aus dem Japan der 1960er Jahre, der auch ihr Vater war. Eine irritierende wie gelungene Abschlussarbeit, die Konzepttanz mit Musical und den Eigenheiten der japanischen (Trauer-)Kultur kombiniert.
„Da – da“ stottert es in mechanischen Loops aus den Lautsprecherboxen. Zwölf Performer*innen in weißen Pullovern und Hosen erheben sich nach und nach aus zwei versetzt aufgestellten Sitzreihen und bilden im Gehen einen Kreis. Ein Aufmarsch, ein Trauerzug, ein Reigen der Totengeister, ein Symbol der Pilgerschaft — all diese Assoziationen haften dem synchron schreitenden Chor an und entziehen sich diesem zugleich. Denn die nüchterne Leere, die Sound, Kleidung und der einer Ausstellungshalle ähnelnde Bühnenraum ausstrahlen, versieht jede Bewegung mit einem „es ist, was es ist“-Charakter. Saori Hala sitzt mit drei weiteren Chor-Tänzer*innen im rechten Teil des Raums, den Rücken zum Publikum gekehrt, schaut sie auf eine Wand. Hala ist an diesem Abend die einzige auf der Bühne, welche kein Weiß — wie im vormodernen Japan —, sondern Schwarz als Trauerfarbe trägt. Ein jazziges Schwarz; das T-Shirt ist locker in die karottenförmige Hose gesteckt, die schnürbaren Lederschläppchen betonen die smarte Lässigkeit noch.
Saori erzählt in gebrochenem English von Ken Hara, einem erfolgreichem Musical-Tänzer im Japan der 1960er Jahre, der auch ihr Vater gewesen ist. Trotz der Blutsverwandtschaft sei er ihr niemals vertraut gewesen. 2015, drei Wochen vor seinem Tod, habe die damals 26-Jährige den 84-Jährigen besucht — eine Begegnung, die Hala wie ein Interview gestaltet hat. Zu seinem Beruf, seinem Aufenthalt in New York, zu Japan in den 1960er-Jahren und zu familiären Dingen habe sie ihn befragt. Ken Haras hörbare und teils auf die Wände des Uferstudio 14 projizierte Antworten sind jene eines alten Mannes, dessen zittriges Erinnerungsvermögen bereits Lücken und Sprünge aufweist, und der Zeiträume nur noch grob anhand von amerikanischen Idolen, wie etwa Frank Sinatra und Bob Hope, bestimmen kann. Auf Haras Erzählungen hin folgt auf der Bühne ein Reenactment einer Szene aus dem Musical „Asphalt-Girl“ (1964) des japanischen Regisseurs Koji Shima, jener filmischen Hommage an Leonard Bernsteins „West Side Story“ (1957), in der auch Hara mitwirkte. Auch dieser in weiße Kleidung getauchten Szene wohnt eine seltsame zurückhaltende Distanz inne: Gesichter voll freudiger Strahlkraft und enthusiastisch wackelnde Gesäße lassen keinen Funken überspringen, obwohl es an tänzerischen Fähigkeiten nicht mangelt.
So durchzieht die gesamte Performance ein Spalt, der nicht nur die fehlende Vertrautheit zwischen Hala und ihrem Vater verdeutlicht, sondern auf einer Meta-Ebene eine Irritation im Zuschauer auslöst: Müsste Trauer hier nicht viel emotionaler ausgedrückt werden? Doch die vermeintliche Gefühlskälte ist lediglich eine Frage der Höflichkeit. Denn auch in Japan wird geweint, nur nicht in der Öffentlichkeit und somit wohl auch nicht auf der Bühne. Nur einmal in einer der wohl einprägsamsten Szenen der Performance wird hier eine Ausnahme gemacht, weil sie in einem scheinbar intimeren Rahmen stattfindet. Saori Hala sitzt in einer mannshohen Holzbox mit Glasfenster, die auch eine TV-Box aus einem Museum sein könnte, aber hier als Kabine fungiert. Genauer gesagt, jenen Umkleideraum markieren soll, in dem Halas Vater, vor dem Spiegel stehend, ein fotografisches Selbstporträt von sich gemacht hat. Hala wiederum filmt ihre Kabine von hinten, so dass auf einer der Studiowände eine lebendige Nachstellung von Haras Foto entsteht. Öffentlicher und privater Raum sind hier durchbrochen. Hala probt die Texte aus „Da Dad Dada“ und redet mit bedingungsloser Penetranz auf sich selbst ein, um ihre Aussprache zu verbessern — was mitunter einer gewissen Komik nicht entbehrt. Auch bricht Hala abrupt in ein erzwungen wirkendes Weinen aus, das sie dann aber ruckartig abbricht, um mit dem Chor auf der Bühne zu stehen und — ganz Ken Hara — Musical zu tanzen.
Den Musical-Zitaten stehen immer wieder Szenen des Gehens gegenüber, in denen Blickkontakt und zwischenmenschliche Beziehungen wie in Steve Paxtons „Satisfying Lover“ seltsam abwesend sind. Oder in denen sich die Performer*innen zu Fußgängerschwärmen formieren und symbolisieren, wie Gruppenorientierung effizienter Arbeitsethik und wirtschaftlichem Erfolg dient. Auch im sportlichen Wettkampf zählt in Japan angeblich Solidarität. Die Stärkeren ziehen die Schwächeren mit. Dass Hala hier Anschluss zum Olympiadebesuch ihres Vaters findet, aber auch zu gemeinschaftlichen Trauerritualen von Tieren, wirkt nicht willkürlich, sondern ist dramaturgisch gut gesetzt. Am Ende der von Text und Bewegungswiederholungen und Variationen lebenden Performance steht Hala als Einzige auf der Bühne. Alle anderen sind zu Boden gesunken. Haben die Plagegeister der Vergangenheit nun endlich Ruhe gefunden? Oder anders: Konnte Hala einen guten emotionalen Abstand zu einem Vater finden, der seine Karriere über die Bedürfnisse seines Kindes stellte? Mit Gefühlskälte hätte das dann auf jeden Fall nichts zu tun.