„The Price is Right“, Cecile Bally © Steffen Junghan

Untote im Supermarkt

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Cécile Bally schafft mit „The Price is Right“ eine humorvolle und scharf beobachtende Skizze auf ein Phänomen des modernen Konsumverhaltens.

Zwischen Ketchupflaschen, Dosenbohnen und Damenbinden wandeln drei Performer*innen im (Alb-)Traumland des Überflusses. Die bunten Waren locken mit sinkenden Preisen, die Euro- und Cent-Beträge durcheinander geraten lassen. Die verlorenen Seelen werden im Strudel des Konsums immer wieder zu Boden gerissen. Eine Hand greift ins Regal, umklammert das gewählte Produkt, auf dem Gesicht formt sich ein schräges Lächeln. Die Verheißung: Cornflakes, die gekauft werden wollen. Zu „Ja!“-Produkten kann man nicht nein sagen. Am Einkaufswagen kann man sich gut festhalten. „Jaaaaaaaa!

… Dunkle Ringe zeichnen sich unter ihren Augen ab, die verzückt und halb wahnsinnig den Umraum scannen: Die Performer*innen Asaf Aharonson, Marie Ursin und Cathy Walsh geben sich in „The Price is Right“ gekonnt der komisch-absurden Formensprache hin, die schon zur Handschrift der in Berlin lebenden Choreografin Cécile Bally geworden ist. Nebeneinander aufgereiht bewegen sie sich in ausdauernder Slow-Motion zu dramatischer Musik, wie sie für gewöhnlich große Gefühle oder Wendepunkte in Film und Theater ankündigt. In der Gasse zwischen zwei Regalreihen tun sich Abgründe auf. Grelles, kaltes Neonlicht taucht das Geschehen in fahle Grautöne, kontrastiert von hippen Klamotten der Supermarktbesucher und den bunten Produkten zu allen Seiten. Die Begegnungen finden hier in erster Linie zwischen Konsument*in und Produkt statt – die Menschen selbst stehen sich vor allem im Weg und verteidigen ihre Beute.

„Ohhhh… it’s so cheap!“

Supermärkte sind Orte des Versprechens: Solange die Regale gefüllt sind, wird schon alles in Ordnung sein. Die Selbstbedienung erweckt den Anschein von Entscheidungsfreiheit – dabei ist es schon egal geworden, was man sich in die Manteltasche stopft, Hauptsache „der Preis stimmt“. So irren die Drei ferngesteuert im Strobo-Taumel durch den Warentempel. Mit durchgestreckten, steifen Knien stolpern sie durch den Raum, ihr Gang immer wieder gestoppt, zurückgespult, die Arme wie Zombies schräg nach oben gerissen. Jede*r von ihnen wird ihren*seinen schizophrenen Solo-Moment voll auskosten: Asaf Aharonson hyperventilierend angesichts einer greifbaren PET Wasserflasche, Cathy Walsh gleich in mehrfacher Persönlichkeitsspaltung als Cowgirl, Housewife oder Hulk theatralisch-besessen auf ihrem Weg durchs Sortiment, Marie Ursin allein im Supermarkt mit Angst vor dem eigenen Schatten und beinahe erstickend an einer Überdosis Zahnpasta. Die Choreografie wechselt zwischen überzeichneten Charakter- und Bewegungsstudien (die ausgestreckten Arme, die aufgerissenen Augen, das verzückte Gesicht, das Recken des Nackens Richtung Produkt) über lustige Werbe-Einlagen, in denen die Produkte der Reihe nach aus den Regalen gegriffen und präsentiert werden… Dabei haben die Performer*innen natürlich eine ganze Menge Plastik versammelt und einige Discounter geplündert. Die Kritik am Kapitalismus und am ungehemmten oder unbewussten Konsum wird über den Umweg mit Humor serviert. Die Stärke dieser Arbeit liegt darin, dass das Alltägliche in (Alb-)Traumsequenzen kippt und man trotzdem lachen kann. Oder: welchen Preis muss man zahlen?