„We are not monsters – Edition: Berlinische Galerie“, Saša Asentić & Collaborators ©Dieter Hartwig

Möchten Sie ein Monster sehen?

Am 9. und 10. Oktober 2021 wurde in der Berlinischen Galerie das Projekt „We are not monsters – Edition: Berlinische Galerie“ in der Produktion von Saša Asentić & Collaborators aufgeführt. Künstler*innen mit und ohne Behinderung der Künstlergruppen Per.Art aus Novi Sad (Serbien) und Tanzerei aus Berlin untersuchen die Relation zwischen Besucher*innen und den Kunstobjekten im Museum. Im Fokus der Inszenierung, die auf einer Idee des Künstlers Dalibor Šandor basiert, steht die Frage nach dem Umgang mit Menschen, die körperlich und geistig anders sind bzw. von der „Norm“ abweichen.

Auf den ersten Blick erscheint Dalibor Šandor wie jeder andere Mensch, der einen Kopf, zwei Beine und zwei Arme hat. Zudem kann er sich ohne Hilfe anderer Menschen frei im Raum bewegen und dazu artikuliert sprechen. Er ist vielleicht ein bisschen größer als der Durchschnitt und seine Figur erinnert ein bisschen an den Schauspieler Boris Karloff in seiner Rolle als Frankenstein. In seiner Lecture-Performance, die den ersten Teil der Inszenierung bildet, erklärt Šandor detailliert die biografischen Umstände, die ihn dazu gebracht haben, dieses Projekt zu machen. Sein Vortrag auf Englisch wird simultan ins Deutsche und in Gebärdensprache übersetzt. Weil er anders aussah, wurde Šandor in der Schule gemobbt, bis er dann wegen Lernstörungen auf eine Sonderschule kam. Seine Erzählung aus der Ich-Perspektive erzeugt den diskursiven Rahmen, in dem der Frage nach Andersheit nachgegangen wird. Ein wichtiger Aspekt in seinem Vortrag sind Horrorfilme und Videospiele, die er mehrfach erwähnt und die er viel geguckt und gespielt hat. Indem er sich immer wieder mit den Ungeheuern, die in diesen Filmen und Spielen vorkommen, identifizieren konnte, kam er eines Tages auf die Idee, eine Performance mit der These zu machen, dass die Gesellschaft Menschen mit Behinderungen, wie Monster betrachtet. Wie man im Programmheft lesen kann, will Šandor „auf das verzerrte Bild hinweisen, das sich die Gesellschaft von denjenigen macht, die vermeintlich anders erscheinen und auf die damit einhergehende Ungerechtigkeit.“ Die ursprüngliche Version der Performance wurde 2019 in der Galerie Matica Srpska in Novi Sad entwickelt. Für Berlin entstand die Inszenierung aus der Kollaboration von Dalibor Šandor mit Xavier Le Roy, Alexandre Achour, Scarlet Yu, Saša Asentić, Marcel Bugiel sowie anderen Mitgliedern der Künstler*innengruppen Per.Art und Tanzerei.

Nach dem Vortrag wird das Publikum aufgefordert, den Hörsaal zu verlassen und sich in die Räume der Dauerausstellung im ersten Stock zu begeben. Hier haben sich weitere Performer*innen, alleine oder in kleinen Gruppen, vor den Bildern platziert und warten auf die Besucher*innen. Sie stellen mit ihren Körpern und Bewegungen Beziehungen zu den ausgestellten Bildern und Kunstobjekten her. Was dabei immer wieder zum Vorschein kommt, ist der Kontrast zwischen den lebendigen, atmenden Körpern und den gemalten Figuren. Was in der Interaktion wiederholt wird, ist die Frage: „Möchten Sie ein Monster sehen?“ Sobald man sie bejaht, führen einen die Performer*innen zu einzelnen Bildern und inszenieren sich dort in Form monströser Gestalten. Deren Monstrosität zeigt sich durch groteske Gesten und Bewegungen, die eher ungewöhnlich sind für einen Galeriebesuch. So wird Šandor sich zum Boden senken, seine Arme in die Jacke stecken und als formloser Körper auf den Boden kriechen. Durch die Interaktion der Körper mit Bildern, die den Kanon der Kunst bzw. Kulturgeschichte bestimmen, wird man auf die von der „Norm“ abweichenden Körper aufmerksam. Während die Kunstwerke einen festen Platz in der Gesellschaft haben, erfahren Mitglieder der Per.Art– und Tanzerei-Gruppe tagtäglich jede mögliche Art von Diskriminierung und Gewalt. Damit verweist die Inszenierung auf jene strukturellen Ausschlussmechanismen, die im Kern der Gesellschaft verankert sind und sich als unreflektierte Angst vor dem Fremden und nicht Normierten offenbaren. Andererseits bringt „We are not monsters“ die Macht künstlerisch-choreografischer Praxis zum Vorschein. Jene Strategie des ästhetischen Widerstands und der Imagination gegen Gewalt, Diskriminierung und Ungerechtigkeit, die darin besteht, die Körper in undisziplinierte Bewegungen zu versetzen.