„SKIN“, Renae Shadler & Roland Walter ©beat.pix.with.heart

Ein Oszillator-Austausch

TANZPLATTFORM 2022 >>> Der als Performer, Fotograf, Model, Autor und Sprecher arbeitende Roland Walter wurde mit einem Sauerstoffmangel geboren, der zu spastischen Lähmungen führte. 2018 schlug er der Choreografin Renae Shadler vor, gemeinsam eine Performance zu entwickeln, was zu einer Recherche über die Entwicklung einer gemeinsamen Bewegungssprache führte. Das Duett „SKIN“ wurde am vergangenen Samstag, den 1. August 2020, in den Uferstudios uraufgeführt.

Nachdem ich „SKIN“ gesehen hatte, googelte ich die Science-Fiction- und Fantasy-Autorin Ursula K. Le Guin. Ihre Überlegungen zu Amöben und die Art und Weise, wie sie bei der Paarung Teile von sich selbst hin- und herschicken, waren eine Inspirationsquelle für dieses Werk. Ich stieß auf ihren Artikel namens „Kommunikation als gegenseitige Anregung[1]“, der mir die Grundlage für diese Kritik lieferte. Darin beschreibt Le Guin alle Lebewesen als „Oszillatoren“. Wir schwingen und pulsieren und laut Le Guin geht es beim Aufbau menschlicher Beziehungen darum, sich gemeinsam rhythmisch zu bewegen, sich mitzureißen und in Einklang zu bringen. Wir teilen Elemente von uns selbst und prägen sie anderen ein, so wie wir wiederum von anderen geprägt werden. Das ist kein sich abwechselnder Prozess, sondern geht stets in beide Richtungen, ununterbrochen und unaufhörlich.

Das erste Bild in „SKIN“ ist eine klare Anspielung auf Le Guins Amöben. Zwei in blaue Schlafsäcke gehüllte Kreaturen sitzen sich gegenüber. Obwohl sie in sich selbst zusammengerollt sind, versuchen sie ständig eine Verbindung zueinander herzustellen. Ihre Knie berühren sich. Dann bricht aus jedem Schlafsack eine Hand hervor. Krumm und mit steifen Fingern bewegen sie sich, stakkatoartig. Die Körper winden sich aus den Säcken und erst als sie sich offenbaren, bemerken wir die Unterschiede zwischen ihnen. Beide sind in Neoprenanzüge gekleidet. Renaes Körper ist groß, während Rolands deutlich kleiner ist und sichtlich von seiner Behinderung gezeichnet. Sie nimmt ihn in ihre Arme, trägt ihn und bewegt ihn durch den Raum. Ihre Augen sind weit geöffnet, wie die einer Außerirdischen, der eine völlig neue Welt erkundet.

Unterstützt von einem atmosphärischen Soundtrack von Samuel Hertz und dem Bühnenbild von Judith Förster entstehen verschiedene Szenen, in denen kleine Teile der beiden Darsteller*innen von einem zum anderen und dann ins Publikum zu schweben scheinen. Die beiden Tänzer*innen teilen sich die Bewegungen, rollen auf ihren Seiten hin und her, bis sie sich körperlich miteinander verbinden und über den Boden gleiten. Das Bild seiner Hand, die auf ihrem Arm ruht, ist eines von großer Intimität.

Mit Roland auf dem Rücken stampft Renae mit den Füßen in einen kleinen, mit Wasser gefüllten Plastikbehälter. Dieser läuft über und macht den Boden nass. Sie übergießen sich daraufhin gegenseitig mit Wasser. Es ist eine tröstliche und spielerische Geste, die ihre Körper geschmeidiger werden lässt. Er sitzt auf einer Bank – einem Rollstuhl – und sie auf einem Rollbrett und rollt über die Bühne. Jeder hält sich am Schlafsack des anderen fest, der wiederum mit dem anderen verbunden ist. Sie bilden eine einzige Linie, die durch den Raum schwingt. Sie ziehen und schieben sich, tauschen sich aus, werden zu Oszillatoren. Sie kommen sich immer näher, bis sie schließlich zusammenkommen und dann langsam zum Stillstand kommen.

Als jemand, der überwiegend von able-bodied Menschen umgeben ist, habe ich mich dabei ertappt, wie ich meine emotionalen Reaktionen auf die Arbeit hinterfragt habe. Waren sie aufrichtig, oder sogar berechtigt? Hatte ich mögliche politischen Anspielungen dieser Arbeit übersehen? Oder waren diese Zweifel nur die Zeichen meines eigenen vagen Versuchs politisch korrekt zu sein? Es lag eine große Großzügigkeit in dem Akt, mich einzuladen, einen mir unbekannten Körper zu betrachten. Und da diese Einladung zum Betrachten unter Rolands Bedingungen erfolgte und er das Eigentum daran hatte, fühlte ich mich willkommen und konnte Teil der Schwingung werden. Für mich war „SKIN“ nicht nur eine intelligent konstruierte Performance, sondern auch eine Arbeit, in der die Verschmelzung von Bewegung, Körpern, Szenografie und Klang einen poetischen Einblick in die Art und Weise gab, wie wir miteinander verbunden sind. Einen Einblick in diesen Teil unseres Menschseins zu bekommen, hat mich tief berührt.

Übersetzung ins Deutsche von Alex Piasente


[1] „Der Prozess, bei dem etwas Teil einer Flüssigkeit oder eines Flusses von etwas wird und mitgenommen wird.“ Cambridge Dictionary (online)



“SKIN” von Renae Shadler & Collaborators mit Roland Walter wird erneut am 18., 19. & 20. März in der HALLE Tanzbühne Berlin, im Rahmen der Tanzplattform Deutschland 2022 zu sehen sein.