„Deepspace“, James Batchelor ©Gregory Lorenzutti

Coole, profunde Körpermathematik

Zeit, Raum, Mathematik. Das sind die Themen, die James Batchelor in seiner auf wissenschaftlicher Kooperation basierenden Choreografie „Deepspace“ erkundet. Richard Pettifer sah die Performance am 14. März 2023 im Trauma Bar und Kino in Berlin-Moabit.

Ich bin kein besonders cooler Berliner. Ich bin eher der Nerd am Bühnenrand, der in Theatersälen abhängt, viel zu bunt gekleidet, Beobachtungen in ein altes Blöckchen kritzelnd, das ein Oberschüler nicht ganz vollschrieb. Augenkontakt vermeide ich, wenn möglich. Nach der Show mache ich mich schnell auf den Heimweg, zurück nach Pankow – einer der uncoolsten Berliner Bezirke –, wo ich mir einen Kamillentee bereite und mich bemühe, meine Notizen zu entziffern, Gedanken zu entschlüsseln, die ich in der Regel im Dunkeln mit einem eher leeren Kuli festzuhalten versuche.

„Deepspace“ ist ein choreografisches Duett von James Batchelor mit Chloe Chignell, die 2016 auch die Premiere des Balletts tanzte. Ich sah die aktuelle Vorstellung im Trauma Bar und Kino, Underground-Location und Event-Space in der notorisch unfertigen Europacity von Berlin-Moabit.

Pechschwarz ist es im Club. Überwältigende Dunkelheit überall. Auch das Publikum trägt schwarz, in verschiedenen Schattierungen, oder schwarze Accessoires. Für den ersten Teil der Performance werden wir in einen düsteren Raum geleitet und hören die 30-minütige Audio Installation „Sonic experience“ von GiGi FM. Nach dieser atmosphärischen Reise in den digitalen Reiz der Natur wechseln wir für Batchelors Choreografie in einen größeren Saal.

Dort sehen wir Chignell und Batchelor, in sanftes Licht gehüllt, Metallkugeln in den Händen haltend, ihre Körper langsam schwankend. Die Musik (Komponist: Morgan Hickinbotham) wird schneller, die Tanzenden – auch sie – natürlich – in schwarzem Dress – wiederholen eine Bewegungssequenz in alle vier Richtungen. Sie gleiten und drehen sich in perfekter Symmetrie. Nach dieser Eröffnung lassen sie die Kugeln zart ins Publikum rollen. Im Takt der Musik dehnen sie sich in eine expansivere Geste. Ihre Bewegung erstreckt sich jetzt auf den ganzen Raum. Sie erinnern an Tanzende im Ballhaus, die sich auf dem Parkett drehen, durch den Saal wirbeln, bis sie schließlich zu Boden sinken, sich langsam dort wälzen, die kreisförmige Bewegung wiederholend, als erkundeten sie die räumliche Geometrie.

Batchelor entscheidet sich für die prägnante Symmetrie als choreografisches Mittel. Er spielt mit stumpfen Winkeln und Körperformen, die er ins Verhältnis zur Architektur setzt – mit gelegentlichen Variationen als Ausgangspunkt (oder – wissenschaftlich formuliert – als Fehler). 70 Minuten performen die Tanzenden wortlos und in permanentem Bezug aufeinander, selbst noch als eine auf den Rücken des anderen klettert oder einen riesigen Aufblasball holt. Das Duo scheint mit unsichtbaren Fäden aneinandergebunden. Gesten wie das Drehen des Balls spiegeln die langsamen Pirouetten des Körpers. Sie leiten über ins Finale, in dem die Performenden als ein Paar weißer, geometrischer Formen erscheinen, das einen kleinen Ball um- und zwischen einander rollen lässt.

Batchelor thematisiert in „Deepspace“ Miniaturisierung und Transformation. Er betrachtet den Kreis, den Zirkel und andere Geometrien als abstrakte Medien, die innere und äußere Welten vermitteln. Seine Choreografie lässt sich auf die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Beziehung zwischen Mensch und Welt ein. Sie ist der „Versuch, sich den unbezwingbaren Kräften der Natur hinzugeben“. Gegen Ende ragen von oben beleuchtete geometrische Formen aus dem Raum heraus. Untermalt von atmosphärischem Rauschen beginnen sie, sich langsam zu drehen.  

„Deepspace“ regt sich mit eisigem Tempo. Die Performance lädt zur genauen Beobachtung und zum intensiven Zuhören ein. Zwar funktioniert das nicht durchgängig – mich mutet das Werk eher „klassisch“ an; nichts Radikales ist zu erwarten –, doch der Ritualcharakter wird erfolgreich gewahrt, als winzige Exemplare der Kugelstoßkugeln auf dem gekrümmten Rücken des Tänzers balanciert werden, bevor das Duo am Ende auf dem Kanalisationsgitter in der Bühnenmitte mit ihnen Ball spielt.

Wirkmächtige Beobachtungen lösen sich sympathisch zirkulär auf. Zeitlos euklidisch, sozusagen. Batchelors Produktion ist ein Angebot an die aktuellen Debatten über die wissenschaftliche Beziehung zwischen Mensch und Welt, erzählt als Geschichte der Abstraktion, im besten Fall als Kunst. Manche mögen den Fokus als zu exakt und den Ansatz als zu konventionell empfinden. Aber müssen wir denn immer trendy sein?

Übersetzung aus dem Englischen: Lilian Astrid Geese


„Deepspace“ von James Batchelor (Performance: James Batchelor, Chloe Chignell; Sounddesign: Morgan Hickinbotham) wird im Trauma Bar und Kino vom 14. bis 17. März 2023 um 19:30 Uhr performt. Tickets unter traumabarundkino.de.