Lause Residency for Art and Activism, open rehearsal Scherrebeck Hansen/Hansen/Staub ©Umbruch Bildarchiv

Verwicklung, kollektives Handeln und Kunst als ein Vehikel der Hoffnung

Peter Scherrebeck Hansen, Snorre Hansen und Katrine Staub laden am Ende ihres Lause-Residency-for-Art-and-Activism-Monats zu einer offenen Probe. 

Eine leuchtend pinke Plüschdecke liegt wie ein kleiner Teppich ausgebreitet in der Nähe der Ecke eines langen, großen Raums. Der Klang des Meeres rauscht durch ihn. Genau neben dem pinken Deckenteppich steht eine Topfpflanze, in Nachbarschaft mit anderen seltsamen doch vertrauten Dingen eines Zuhauses: einer Yogamatte, einem Laptop, Knisterfolienstreifen, die liebevoll auf Zementblöcken drapiert sind, kleinen Pyramiden aus Gewürzen und Dreck auf dem Fußboden liegend. Viele Leinen, die an schwerere Objekte auf dem Boden gebunden sind, streben zur Decke – ein minimalistisches Spinnennetz, das elegant über und durch den Raum schwebt. Von manchen dieser Leinen hängen Objekte und essbare Dinge in kleinen transparenten Beuteln. Zwei Zitronen in einem kleinen Säckchen baumeln von einer; direkt unter der Raumdecke hängt ein Netz, das zwei Holzblöcke hält; auf dem Boden liegen ein Beutel Kartoffeln und ein anderer mit Zwiebeln. 

Die drei Performer*innen tragen grelle, schräge Muster, die Gesäßtaschen ihrer Jeans sind ausgeschnitten, sodass uns vorwitzige Hintern und Unterwäsche angrinsen. Über ihre Torsi sind kompliziert Leinen gebunden, an denen weitere kleine Beutel baumeln, die lustige Kollektionen kleiner Objekte enthalten. Dieses gender-queer-frohe Trio eröffnet den Abend als eine „offene Probe“ und erwähnt ihr Forschen nach „löchrigen Nestern“ – temporären Orten des Zuhauseseins und Räumen, die sich sicher genug anfühlen, um in ihnen zu tanzen, Manifestationen einer zunehmend prekären Welt. Sie beginnen die offene Probe mit Musik, die dem Soundtrack des Videospiels SIMS ähnelt. Sie ist nicht sehr laut, was eine ziemlich befremdliche Atmosphäre schafft. Mit sanftem und ernstem Lächeln behalten sie sich gegenseitig im Auge und improvisieren durch die Partitur der diesabendlichen Probe. Es macht den Eindruck, als würden sie sehr viel füreinander performen. Wenn sie stolzieren, tanzen und sich manchmal lustig schütteln, ist dies stets eine Verhandlung, ein stilles Kommunizieren, ein verwickeltes Spiel des Schauens, Hinhörens und Reagierens. Ich fühle mich, als würde ich seltsamen Riten einer Tierfamilie beiwohnen. 

Staub, Scherrebeck Hansen und Hansen teilen ihre Arbeit mit uns im Rahmen der Lause Residency for Art and Activism, was heißt, dass diese leise, niedliche offene Probe in ein breiteres, größeres Narrativ politischer Tragweite eingebettet ist. Es gibt eine etwas komplexe Geschichte hinter der Residenz, die ich so gut es geht erzählen möchte. Denn wie die Leinen den Performanceraum durchweben, ist sie mit der Arbeit der Performer*innen verflochten.

2007 verkaufte die Stadt Berlin die Lause – die Hausgemeinschaft in der Lausitzerstraße 10 und 11 in Kreuzberg – an die Tækker Group, die dem vermögenden dänischen Immobilieninvestor Jørn Tækker gehört. Er kaufte das Gebäude für 2,3 Millionen Euro und nicht ganz eine Dekade später, 2016, entschied er sich, es für 20 Millionen Euro wieder zu verkaufen. Dieser Verkauf bedroht 40 Jahre kreativer, selbstorganisierter Gemeinschaftskultur und verdrängt 170 Menschen, die in der Lause leben und arbeiten, eine Mischung aus Familien, Wohngemeinschaften, kleinen Unternehmen und Künstler*innen-Studios. Kurioserweise gibt sich Jørn Tækker in Dänemark auch als großer Unterstützer der Künste, und bis vor kurzem finanzierte er eine Residenz, die es dänischen Künstler*innen erlaubte, einen Monat in Berlin zu verbringen. Nicht so viele dänische Künstler*innen waren sich der Aktivitäten von Tækker als Berliner Hauseigentümer bewusst, bis dieser Artikel den Gentrifizierungseffekt auf Künstler*innen und Kreativräume der Stadt, wie die Lause, aufzeigte. Auf den Artikel reagierte Tækker mit dem Rückzug der Finanzierung sowie mit der Beendigung der Residenz für dänische Künstler*innen in Berlin. Lause unterdessen reagierte im Gegenzug mit der Kontaktaufnahme zu dänischen Künstler*innen und der Schaffung einer eigenen Residenz. 

So wurde die Lause Residency for Art and Activism geboren und im Kontext dieser Geschichte steht, dass Staub, Scherrebeck Hansen und Hansen, die alle die dänische Staatsangehörigkeit haben, ihren Weg zur Lause fanden. Die Residenz bietet auf geniale und großzügige Weise eine alternative Plattform für dänische Künstler*innen in Berlin, während sie gleichzeitig wichtige Verbindungen zwischen deutschen und dänischen Künstler*innen befördert und entwickelt. Zusammen können sie Aufmerksamkeit auf den globaleren Aspekt der Gentrifizierung, Verdrängung und Ökonomisierung der Künste lenken. Obwohl die Situation in der Lause immer noch unglaublich unsicher ist und Verhandlungen scheinbar eine Ewigkeit bei der Umsetzung in Anspruch nehmen, tragen Events wie diese zur Sache bei, indem sie auf Tækkers Geschäfte und öffentliches Image aufmerksam machen. Dies wiederum gibt den Lauses Gewicht gegen Tækker, der zuletzt einräumte mit ihnen zu verhandeln. 

Diese breiteren Themen der Gentrifizierung und der sehr spezielle Kampf zwischen Tækker und Lause rahmen beide diese Residenz. Obwohl die Künstler*innen während ihres Aufenthalts in jeglicher Hinsicht frei arbeiten können, können sie auch thematisch aufgreifen, wie der ‚Container‘ den Inhalt beeinflusst. Die quer durch den Raum hängenden Leinen stehen in Verbindung zu unserer kollektiven Verwicklung. Die prekär aufgehängten Beutel, die Embleme der Häuslichkeit enthalten, erinnern an den prekären Jetzt-Stand sowohl des Gebäudes als auch des Alltags von Künstler*innen auf der ganzen Welt. Die sehr offensichtliche Nähe der Gruppe, mit der sie das Stück durch einen stillschweigenden, aber einigen Entscheidungsprozess bewegt, deutet auf die enorme Kraft kollektiven Handelns und kollektiver Selbstorganisation hin. Bei dem anschließenden Gespräch machen Residierende und zur Lause gehörende Aktivist*innen den Großteil des Publikums aus. Wir gesellen uns zu einer gemütlichen und engen Runde, in der wir die Arbeit ebenso diskutieren wie ihren Kontext. Themen wie Cruising, Paradiesvögel, Wahlfamilien und Prozesse – rechtliche wie künstlerische – bahnen ihren Weg in die Diskussion, und für mich ist es ein Moment, in dem die Dinge zusammenfinden. Die Menschen der Lause sprechen offen und ruhig, ungeachtet der Bedrohung, die von Gentrifizierung und dem Ende einer Ära, die längst über ihren Köpfen schwebt, ausgeht. Im Raum nehme ich auch eine gewisse Positivität, etwas Erhebendes, gar eine Freude wahr. 

Auf meinem Weg nach Hause denke ich über die Beziehungen zwischen dem Aufbauen einer Community und dem Kunstmachen nach. Ich überlege, an welchen Stellen beide eine Form von Beharrlichkeit voraussetzen – eine Hingabe an das mondäne Von-Tag-zu-Tag, in dem du Stück für Stück die nicht immer ganz glanzvollen Aufgaben abträgst, die zum Bauen jener Welt, in der du leben möchtest, dazugehören. Endlose E-Mails und oftmals sehr frustrierende Meetings, wo jede*r Anwesende versucht, mit allen gemeinsam zu denken – dies ist die Arbeit, wenn man einen Wandel herbeiführen will. Manchmal ist ein kleines Nest, in dem du für deine Freund*innen tanzen kannst, vielleicht das Radikalste, was du tun kannst, wenn du deine Freude verteidigen und deine Hoffnung retten möchtest. Auf diese Weise kannst du deine Arbeit vielleicht fortsetzen. Auf jeden Fall hoffe ich, dass die Arbeit der Menschen in der Lause Zukunft hat.


Deutsche Übersetzung von Wenke Lewandowski