Hinter uns der Nebel, Here we are ©Constanze Flamme

Here we are. And it is not irritating to be here

In Eile? Hinter uns der Nebel könnte das ändern. Mit dem interdisziplinären Projekt wird das Kollektiv Here we are am 13.10.2024 nochmals in einen Raum einladen, in dem die Zeit anders vergeht. Spielort ist die Alte Neuendorfer Kirche in Babelsberg.

Von Kreuzberg nach Babelsberg braucht es mit der S-Bahn eine Stunde. Genügend Zeit, um auch mal einzunicken, vor allem wenn es spät ist und der Tag voll war. Mein Weg von der Haltestelle zur Kirche ist kurz, aber stockdunkel und menschenleer. Als ich nach einem Begrüßungstee schuhlos, mit einem extra Paar warmer Socken in den oktagonalen Kirchenraum eintrete, hebt sich mein Blick zu einer himmelblauen Decke, an der 997 goldene Sterne glitzern.

Während ich mich noch orientiere, haben drei der Performer*innen von Here we are eine Art Karawane gebildet, die sich in einer immergleichen Schleife durch den Raum bewegt. Es geht die Empore hinauf, hinunter, einmal an den acht Wänden entlang und wieder von vorne los. Dabei beklopfen, streicheln und streifen ihre Hände das, was ihren Weg säumt: Holzgeländer, Orgelpfeifen, meine Schulter. Die Bewegung der Karawane erinnert mich an Janoschs Kinderbuchreise, eine Suche nach dem schönen Panama, die am Ende wieder dahin führt, wo sie begann.


© Julie Meresse


Schon seit einigen Stunden befinden sich Anita Twarowska und Murillo Basso (Tanz), Nicolas Schulze (Klang) und Oscar Loeser (Video) gemeinsam mit Lena Gätjens (Licht), Clemens Kowalski (Raum) und Publikum in diesem besonderen Raum, auf dieser seltsamen Reise. Während ihre Gäste kommen und gehen, werden sie hier 24 Stunden lang bleiben. Uhren, um diese Stunden zu zählen, sollen jedoch draußen gelassen werden. Stattdessen dreht sich eine metallene Skulptur mit zwei schneebesen-ähnlichen Armen im Kreis und tickt dabei, wie ein Uhrwerk ohne Ziffernblatt. Zwischenzeitig werden ihre Geräusche von einem Mikrofon aufgenommen, verfremdet und in eine Klanglandschaft eingewoben, deren Crescendi uns nirgendwo hinführen.

Ähnlich anti-spektakulär ist Bassos 20-minütiges Slow-Mo Solo, das ganz einfach platt auf dem Steinfußboden endet. Nach einer weiteren gefühlten Ewigkeit, in der auch alle anderen untätig drumherum sitzen, siedelt Basso zu einem Sitzsack am Rande des Raums über. „How can you move so slow?“ fragt ihn Twarowska mit kindlicher Unbedarftheit durch das Mikrofon. Die Antwort und das sich entspinnende Gespräch auf Portugiesisch und Polnisch verstehe ich nur in Teilen.

Was ich inzwischen verstehe: Es geht hier nicht darum, etwas zu verstehen. Es geht nicht darum, irgendwo hinzukommen, etwas zu erreichen, ja nicht einmal darum, etwas Besonderes zu erleben.

Stattdessen zieht mich Hinter uns der Nebel in ein Experiment hinein, das zu erforschen scheint, wie es wäre, jeglichen Maßstab und jegliche Norm in Bezug auf Zeit, Erfolg, Schönheit, Harmonie, soziales Miteinander, usw. hinter sich zu lassen. Zu vergessen, wie die Welt funktioniert, was die Dinge bedeuten, wie die Uhren ticken. Ein Leitspruch oder auch Leitfaden für dieses Experiment, das jede*n im Raum gnadenlos auf sich selbst zurückwirft, könnte von John Cage kommen: „It is not irritating to be where one is. It is only irritating to think one would like to be somewhere else.“ (Lecture On Nothing, 1959)


Hinter uns der Nebel vom Kollektiv Here we are wurde am 02./03.10.2024 in der Alten Neuendorfer Kirche in Babelsberg von der fabrik Potsdam gezeigt. Eine weitere Aufführung findet am 13.10.2024, 11 Uhr statt. Tickets gibt es hier.