„Songs Of The Dopamine Carousel“, Bully Fae Collins ©Bully Fae Collins

fake it till you… …make it, …break it, …break through. Fake it till it breaks you!

TANZTAGE BERLIN 2023 >>> Bully Fae Collins „Songs of the Dopamine Carousel“ und Liina Magneas „She’s constructing the exit“, präsentieren zum Abschluss des Festivals true Orgasmen und fake Überforderungen (and vice versa) und setzen sich mit den Performance Struggles unserer Zeit auseinander.

Text: Cilia Herrmann

Es beginnt mit einem BÄM!: Auf Knopfdruck geht die Show los. Stimmungsmache. Schon kommt er auf die Bühne: the man in white, the showmaster. Die Zuschauer*innen jubeln. Er feuert uns an: “Did anybody come here for answers?” YEEES! und auch vereinzelte NO!-Schreie. “With our cars we can make love to our cities” – war das jetzt die Antwort? Ich fühle immer noch die Nässe, die ein vorbeifahrendes Auto auf dem Weg hierher auf mich gespritzt hat: „I always come!“ Es wird persönlich, der Performer erzählt, wie er seine Orgasmen nach Automarken benennt, und der Verkehr läuft so ab: rein, rausfahren, dann finally parken. Ich denke an das CDU-Wahlplakat, auf dem Weg hierhin: 25% weniger Parkplätze? Nicht mit uns!

Dann wird nochmal nachgeheizt. “Say it together: WE CAN MAKE LOVE TO OUR CITIES!” Wir?! Das sind die, die heute zufälligerweise hier zusammensitzen. The social body. Er jedenfalls ist unser Coach, der die Arme zum Himmel ausgestreckt, ein Mantra wiederholt. Und voilà, von der Licht-Takelage fliegt ein gelber Müllsack auf die Bühne, dann wird ein zweiter hinterhergeschmissen. Und der Dritte? Hängt noch fest. Abgelenkt wird man von einer Glitterbox, die mit einem Computer Game-Sound an einem Seil heruntergelassen wird. Aus den Müllsäcken entspannt sich dann das Stück: Ich höre wie ein blurry kingdom zu einem blurry kink wird, wie Kriege in einer unverständlichen Masse an Wörtern untergehen, sehe wie ein Strap-On mit Laserpointer das System penetriert und ein Cowboy mit seiner gun (aus Fingern) taumelnd seine liberty lebt. Ich höre gunshots und eine verzweifelte Stimme, die so überspitzt dramatisch ist, dass ich mich entspannt zurücklehne: „Pay attention, we are losing our democracy!” Wahlwiederholung in Berlin oder das Phänomen Trump? Wir könnten auch über das Wetter reden. Ich höre Schritte über mir. Diesmal taucht ein Besen mit einem von Gaffatape verlängerten Stab auf, um den immer noch festhängenden Müllsack loszuschneiden. Mich begeistert die Idee, dass das Chaos da oben nicht choreografiert sein könnte. Gibt es Zufall in unserer digitalen Welt? Plötzlich fallen die Müllfetzen runter. Lautes Jubeln für die balancierende Person mit Besen. Das Ganze fühlt sich meta an. Truman Show. Und dann sprechen wir doch noch übers Wetter: The political climate of the USA ist auf einen überdimensionalen Mantel gedruckt: woke left wing activist, conservative, male, white, veteran, republican. He’s The devil’s advocate mit blauer Perücke. Die Glitterbox blendet mich und wird finally runtergefahren: Nix drinne, dafür aber eine poetische Rede zum Schluss und die Beichte: „I can’t come, I’m too nervous tonight.“ “We need to clean up the internet“, bevor das nächste Stück beginnen kann. Deshalb 30 min Pause.

Klingelndes Geräusch. Licht geht an: Woman in black, fucking hohe Schuhe, Business Outfit, nach hinten gegelte Haare. Was vorher wie Geldregen klang, entpuppt sich jetzt als ein Schlüssel in ihrer Hand. Sie spielt mit ihm. Und lenkt unsere Aufmerksamkeit präzise: lockt mit Rhythmus, schmeißt den Schlüssel hoch, um ihn mit ihrer schwarzen Lederhand zu fangen und tanzt zu dem Heartbeat, den der Schlag auf ihrer Brust verursacht. Sie tut das, was ich schon immer insgeheim von Führungspositionen erwartet habe: Sie telefoniert während sie masturbiert und kaschiert ihren Höhepunkt mit Gesang. Dazwischen eine raue Stimme: “I can do whatever he did, I’m just finishing what he started”. Große Pläne mit Kinder-Krikelkrakel werden ausgebreitet und mit einem selbstbestimmten Gang von den High Heels aufgespießt. Sie wirkt wie ein machtbesessener Charlie Chaplin, wie ein manipulierender Zauberer oder ein manischer Dompteur: Alle erfüllt mit dem Skill jedes kleinste Nebengeräusch, bad ass in catchy Musik zu verwandeln. Zusammen mit ihrem compulsive lover, dem Musiker Hjörtur Hjörleifsson, entsteht ein Duett, das City of Stars in Lalaland gleicht.

Auch im zweiten Teil des Abends kommt die Ansage, dass das government bount to turn to dust ist. Kein Staat, dafür der „freie Kapitalismus”. Licht geht aus, ein Schattenspiel beginnt: Die unsichtbare Hand des Marktes breitet sich über Big Cities aus. Ganoven-Übergangsmusik gibt mir das Gefühl, dass irgendein Komplott geplant ist. Sie taucht ab und taucht aus dem Dunkeln wieder auf, mit einer runzeligen, vergilbten, bröckelnden, männlich gelesenen Puppe. Sie lässt ihn sich berühren, lässt seine Hand über ihre Schenkel gleiten, Beine flattern umeinander, lose Körperteile verfliesen in einer untrennbaren Bewegung. Sie zeigt ihrem toten Liebhaber ihre Pläne, doch auch ihr Lapdance aus der Ferne scheint ihn unbeeindruckt zu lassen. Ist er der he, über den sie immer sprach? Sie performt für ihn. Dieser Satz stimmt jedenfalls irgendwie. Dann belebt sie ihn, steckt ihm ihre Hand in den Rücken und zusammen tanzen sie glücklich über eine imaginäre Wiese im Sonnenschein. Und setzen sich entspannt hin für ein Gespräch: zwischen Liebhaber*innen oder zwischen Mutter und Sohn, irgendwas dazwischen. Er beißt in ihre Hand. Bite the hand that feeds you, geht mir durch den Kopf. Sie beißt in seine Hand. Ein Schauder von Ekel, der sich angestaut hat, geht durch meinen Körper. Während das Licht ausgeht staune ich darüber, wie ich durch dramatisch komponierte Musical-Musik (und obviously geprägt von einer Gesellschaft, die toxisch patriarchale Machtdynamiken als sexy verkauft) da gelandet bin, dass ich dieses bizarre Pärchen doch cute finde.

Foto: „She’s Constructing the Exit Signs (Hope & Delusion), Liina Magnea ©Mayra Wallraff


Die Performances „Songs of the Dopamine Carousel” von Bully Fae Collins und „She´s Constructing the Exit Signs (Hope & Delusion)” von Liina Magnea fanden am 20. und 21. Januar 2023 in den Sophiensælen im Rahmen der Tanztage Berlin 2023 statt. Das Festivalprogramm finden Sie unter tanztage-berlin.sophiensaele.com.


Dieser Text von Cilia Herrmann entstand im Rahmen der zweitägigen tanzschreiber-Schreibwerkstatt zu den Tanztagen Berlin 2023 unter der Leitung von Agnes Kern und Johanna Withelm, in Zusammenarbeit mit der Dramaturgin Mareike Theile. Hier geht’s zum tanzschreiber-Artikel von Miriam Taschler die ebenfalls die Double-Bill von „Songs of the Dopamine Carousel” von Bully Fae Collins und „She´s Constructing the Exit Signs (Hope & Delusion)” von Liina Magnea besuchte >>> Die Lösung für (fast) alles, 23.01.2023, von tanzschreiber-Werkstatt Texte in Bewegung.