In der Luft, Tatiana Mejía / Kareth Schaffer ©René Löffler

Ausatmen

Am 18. Juni zeigten die TANZKOMPLIZEN im Podewil in einer Preview die witzige, pädagogische und kreative Tanzinszenierung In der Luft von Tatiana Mejía und Kareth Schaffer. Die Premiere des Stücks findet am 27. September statt. Es handelt von der Mischung diverser Gase und Staubpartikel um uns herum, die wir Luft nennen, und richtet sich an Zuschauende ab sechs Jahren.

Ich bin spät dran für die Vorschau von In der Luft bei den TANZKOMPLIZEN, dem ersten Ort Berlins, der regelmäßig und exklusiv Tanz für ein junges Publikum auf die Bühne bringt. Zehn Minuten nach Beginn geleitet mich eine Platzanweiserin leise ins Theater. Ich setze mich auf den Boden, gleich neben den Bänken, und schaue mir die Vorstellung von der Seite aus an. Ich möchte die vielen Zuschauenden – gebannt das Programm verfolgende Kinder und ihre Lehrenden – nicht stören. An die Wand gelehnt spüre ich den leichten Wind, der durch die Wandvorhänge in den Saal dringt. Die beiden Choreografinnen-Tänzerinnen beschreiben angeregt und gestenreich, wie der Mensch mit Luft interagiert: Luft, die wir brauchen, die wir spüren, die uns belebt und uns im Raum bewegt.

Anders als bei den Tanzstücken für Kinder und Jugendliche, die ich bisher sah oder bei denen ich mitwirkte, setzen Kareth Schaffer und Tatiana Mejía Requisiten und Kostüme nur sparsam ein. Wenige Objekte kommen zum Einsatz, und sie ändern ihre Funktion im Lauf der Veranstaltung. Über einem Regal hängt eine große Plastikwolke, die später als Bett, als Sitz, als Schublade für einen Schirm und eine Wasserflasche dient, Dinge, mit denen die Performerinnen spielen, während sie Luft, Wasser und Wetter erforschen. Durch lautes Rascheln mit einer Kunststofffolie, die als Pfütze auf dem Boden liegt, generiert Schaffer das Rauschen des Windes.


©René Löffler


Lebendig und dynamisch interagieren die Künstlerinnen und ihr junges Publikum. Die spontanen Reaktionen der Kinder, die sich nicht an die von Erwachsenen im öffentlichen Raum und im Theater strikt geachtete Etikette halten, sind ein wichtiges Element in dieser Live-Performance, und sie steigern auch für mich das Erlebnis der Show. Ich spüre die Feedback-Schleife zwischen Schaffer / Mejía und den Zuschauenden. Diese Reaktion-Gegenreaktion macht die Luft – die unsichtbare Protagonistin der Inszenierung – quasi sichtbar. Die Kinder japsen, lachen, werfen sich einander in den Schoß, schreien „Luft!“ und stellen lustige, rhetorische Fragen zur Atmosphäre, die die Erde umgibt. Der Energiefluss als Reaktion auf die Performance wirkt als starker Faktor in der Live-Situation und gibt dem Austausch zwischen Performerinnen und Publikum erst einen Sinn. Die Sitzbänke werden zum wogenden Ozean, Köpfe wippen, die Kinder winken begeistert, springen von ihren Plätzen auf, ihre Bewegung belebt die Atmosphäre.

Atmen, ein fundamentaler Aspekt unserer Gesundheit und unseres Wohlbefindens, wird durch Bewegung und gesprochenen Text eindrucksvoll erkundet. In Breath (2020) schrieb James Nestor, wir hätten die Fähigkeit, gut zu atmen, verloren, und dies habe gravierende Folgen für uns als Spezies. Diese beunruhigende Realität – verbunden mit der Klimakrise und der jüngsten Corona-Pandemie, die unser Verständnis von der Luft und dem Raum, die wir mit anderen teilen, grundlegend verändert haben – machen In der Luft zu einem wichtigen Stück für die Kinder unserer Zeit. Die Produktion thematisiert einladend, humorvoll, detailliert und zum Nachdenken einladend  die uns umgebende unsichtbare Atmosphäre und motiviert uns zur faszinierten Auseinandersetzung mit ihren Eigenschaften, ihrem Potenzial und ihren Folgen für jung und alt gleichermaßen.

Übersetzung aus dem Englischen: Lilian Astrid Geese


In der Luft von Tatiana Mejía und Kareth Schaffer wurde am 18. Juni bei TANZKOMPLIZEN im Podewil voraufgeführt und wird am 27. September 2024 Premiere feiern.