Klänge der Lausitz, tanzkompanie golde g. ©Alexander Janetzko

Brandenburg ist groß, und Tanz lauert überall

Viel los in Brandenburg: Zum einen beginnt eine neue Spielzeit und zum anderen finden an diesem Wochenende die Landtagswahlen statt. Darüber spricht Maxie Liebschner mit Akteur*innen der Tanzlandschaft Brandenburg.

Brandenburg ist groß, zu groß, um in einem Text eine gesamte Tanzlandschaft abzubilden. Doch es gibt eine Tanzszene – eine freie und zeitgenössische Tanzszene, die noch klein und zart ist, aber wachsen möchte. Sven Till, Programmleiter an der fabrik Potsdam, beschreibt die Tanzszene in Brandenburg als „vielfältig, aber klein und überschaubar an verschiedenen Orten und mit sehr, sehr wenig wirklich struktureller Unterstützung, wo und wie die Arbeiten auch nach außen ein größeres Publikum erreichen könnten.“ Er hebt hervor, dass Tanz nicht nur auf der Bühne stattfindet, sondern auch oft im Außenraum – in der Stadt und der Brandenburger Landschaft. Das ist besonders dem Umstand geschuldet, dass Bühnenstrukturen fehlen oder die bestehenden „Bühnen sich nicht öffnen für den Tanz“, sagt Till. 

Der Tanz muss raus: Dahin, wo er gesehen wird

Diese Vielfalt muss gesehen werden! Daran arbeitet auch schon Golde Grunske. Ihre Tanzkompanie golde g. gründete sie 2008. Mit ihr inszenierte sie mittlerweile viele Stücke für den öffentlichen Raum, die für jede*n frei zugänglich sind. Zuletzt führte sie das Stück „Über Brücken“ auf verschiedenen Brücken in mehreren Städten Brandenburgs auf. Diesen Sommer tourte sie mit dieser Performance durch Forst, Cottbus und Guben, um den Zeitgenössischen Tanz sichtbar und erfahrbar zu machen. Und der Tanz wird sichtbar: Menschen bleiben stehen und sehen zeitgenössischen Tanz, für den sie sich sonst vielleicht nie ein Ticket gekauft hätten. Diese Begegnungen sind Gewinn, Austausch und Herausforderung zugleich für die Tänzer*innen und die Choreografin Grunske. Sie sind weder durch eine klare Abgrenzung wie eine Bühne geschützt, noch gibt es so klare Verhaltensvorgaben wie in einem Theater für das Publikum. Das alles muss erprobt werden – von beide Seiten.

Eine Anfahrt kann vier Stunden dauern

Um nicht als Einzelkämpferin zu agieren, wandte sich Grunske bei der Gründung ihrer Kompanie an die fabrik Potsdam, die zu der Zeit schon eine Instanz als Produktionshaus für die darstellenden Künste war. Aus diesem Bündnis entstanden viele Projekte und die Idee, eine unterstützende Struktur für andere Künstler*innen in Brandenburg zu schaffen. So entstand die Tanzinitiative Brandenburg.

Jeanne und Judith sind die Programmleiterinnen dieser Initiative. „Akteure aus Brandenburg im Bereich Zeitgenössischer Tanz zusammenzubringen und Synergien zu schaffen“, sei eine der Hauptmotivationen der Initiative, so Jeanne Chapy. Dies ist besonders wichtig für den ländlichen Raum, wo viele Einzelkämpfer*innen aus der freien Szene den Austausch und die Unterstützung benötigen. Nach einem Aufruf trafen sich im März 2023 etwa fünfzig Akteur*innen aus der Szene in der fabrik Potsdam – Tänzer*innen, Tanzpädagog*innen, Choreograf*innen und Journalist*innen. Über verschiedene Arbeitsgruppen erschloss sich die Gruppe ein Selbstverständnis der Tanzszene Brandenburg. Dabei ging es um Kunst, Kulturpolitik und Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten.

Aus dieser Arbeit heraus entstand Anfang dieses Jahres der Verein Tanzinitiative Brandenburg e.V. Regelmäßig gibt es Treffen an verschiedenen Orten in Brandenburg und alle zwei Wochen ein Online-Meeting. Besonders bei den Live-Treffen fällt die Weite und Größe Brandenburgs auf, denn eine Anfahrt kann auch mal vier Stunden dauern. Auf einer Website wird wunderbar sichtbar, wie genau diese Tanzszene aussieht und wo überall zeitgenössischer Tanz in Brandenburg stattfindet. Diese Seite ist ein wichtiges Tool, um darzustellen, wo und wann Tanz zu sehen ist. Dazu gehört eine Karte mit den verschiedenen Tanzorten in Brandenburg. Die Künstler*innen sind im gesamten Bundesland verteilt, weitere wichtige Akteur*innen sind: UMtanz e.V. in Templin, Ponderosa e.V. in Stolzenhagen, das Tanzwerk in Werder und BRUCHSTÜCKE / MS Schrittmacher-Landgang e.V. in Oderbruch. Denn Tanz findet nicht nur in den Städten statt, sondern auch in den ländlicheren Regionen Brandenburgs. Auch das macht die Tanzinitiative sichtbar. Die Vorarbeit bestand darin, auszuloten, ob in Brandenburg ein Kompetenzzentrum für den Tanz entstehen kann und wie so ein Zentrum aussehen könnte. Dabei geht es auch darum, einen Ort zu schaffen, der Raum, Strukturen und weitere Ressourcen für den Zeitgenössischen Tanz bietet.

Gastspiele aus der ganzen Welt

Die Akteur*innen wollen die Tanzszene Brandenburgs stärken, aus der Vereinzelung heraus ein starkes Netzwerk bilden, um den Tanz sichtbarer zu machen. Auf diese Vereinzelung geht besonders Sven Till ein: Er hat die fabrik Potsdam in den neunziger Jahren mitgegründet. Heute ist die fabrik Potsdam das einzige Produktionshaus in Brandenburg, das sich ganzjährig dem Tanz verschreibt. Während und nach der Wende lösten sich besonders Tanzensembles an städtischen Bühnen auf. Inzwischen ist die Fabrik Potsdam ein Förderer der lokalen und regionalen Tanzszene, aber auch international gut vernetzt und lädt Gastspiele aus der ganzen Welt nach Potsdam ein. Doch nicht nur die Fabrik sorgt dafür, dass sich in Potsdam ein Konzentrationspunkt für Tanz innerhalb Brandenburgs gebildet hat. Neben der Fabrik zählt Till auch das T-Werk und das Ensemble Oxymoron auf.  

Ein starkes Netzwerk wird besonders im Hinblick auf die anstehenden Wahlen benötigt. Auch an dieser Stelle wird bereits nachgedacht, wie kulturpolitisch und gesellschaftlich gegen populistische Strukturen gearbeitet werden kann. Für Till gehört es dazu, auch die eigenen Räume zu verlassen und an verschiedenen Orten in Brandenburg ein kulturelles Angebot zu schaffen. Es geht nicht nur darum, in der Kunst aktiv zu sein, sondern verschiedene gesellschaftliche Bereiche miteinander zu verknüpfen. „Das bleibt eine schwierige Aufgabe und wird immer mehr davon abhängen, wie wir uns in der Gesellschaft zusammenfinden. Auch außerhalb der Kultur müssen wir unsere Werte verteidigen und klar definieren, wie wichtig uns eine vielfältige Gesellschaft ist.“ Ein Projekt, das neue Strukturen fördert, ist das bundesweite und länderübergreifende Projekt explore dance – Netzwerk Tanz für junges Publikum. Darüber konnte die fabrik mit Schulen und Pädagog*innen in Kontakt treten und so den Tanz in Brandenburg auch für ein junges Publikum sichtbar und zugänglich machen. Dieses Interesse gibt Till Hoffnung.   

Einen ähnlichen Ansatz verfolgt Golde Grunske in Cottbus. Mit der Tanzwerkstatt hat sie einen Ort geschaffen, an dem nicht nur ihre eigene Kompanie trainieren und proben kann, sondern auch tanzinteressierte Kinder, Jugendliche und Erwachsene sich dem Tanz nähern können. Auch für sie ist es besonders wichtig, dass Tanz nicht nur in Theatern stattfindet. Als nächstes steht ein Projekt an, das dieses Jahr nicht zum ersten Mal aufgeführt wird. Am 9. November arbeitet die Tanzwerkstatt mit der Literaturwerkstatt zusammen, um ein Tanzstück rund um Stolpersteine zu inszenieren und so an das Schicksal der durch die Nationalsozialisten ermordeten, vertriebenen und deportierten Menschen zu erinnern. Aufgeführt wird das Stück nicht auf einer Bühne, sondern in der Stadt, meist auf öffentlichen Plätzen.

Tanz wird es immer geben

„Tanz wird es immer geben. Diese Schönheit kann uns niemand nehmen“, sagt Golde Grunske. Es wird mit dem Tanz weitergehen, auch wenn alle Beteiligten besorgt auf die Landtagswahlen und mögliche finanzielle Kürzungen blicken, wenn die AfD einen Großteil der Stimmen erhält. Doch Grunske ist auch besorgt, wie die Wahlen die Stimmung in Cottbus verändern könnten. „Wir haben die Idee, dass ein demokratisches Verständnis die Basis unserer Arbeit ist – sowohl in der Tanzwerkstatt als auch in der Kompanie. Wenn das in Frage gestellt wird, wird auch die Arbeit, die wir dort leisten, in Frage gestellt.“ Doch in den SPD-regierten Städten Cottbus und Potsdam selbst ist die Gefahr von rechts in der Arbeit von Grunske und Till noch nicht so stark spürbar. Sven Till beschreibt einen bisher starken Widerstand in Potsdam: „Nach den letzten Kommunalwahlen, bei denen die AfD den Vorsitz im Kulturausschuss erhalten hatte, gab es großen Widerstand aus der Kulturszene, aber auch aus der Bevölkerung. Über 1500 Unterschriften wurden in sehr kurzer Zeit gesammelt, um sich dagegen zu positionieren.“ Beide machen sich vielmehr Sorgen um die Förderung des Tanzes im Brandenburger Land. Till fragt: „Können sich dort kleine kulturelle Strukturen und Formate weiterhin behaupten, auch wenn die Mehrheitsverhältnisse sich zugunsten rechter Sichtweisen verschieben? Rechte Akteure vor Ort fühlen sich durch die Wahlergebnisse bestätigt und versuchen, ihren Platz in der Gesellschaft zu behaupten oder gar kulturelle Plätze zu übernehmen. Sie organisieren Gegenmaßnahmen oder Gegenveranstaltungen. Diese Gefahren sehe ich definitiv.“ Grunske und Till erwarten Veränderungen, besonders was die Stimmung in Brandenburg – auf dem Land, aber auch in den Städten – anbelangt. Dann sind gefestigte Strukturen und Förderungen des Tanzes gefragt, um sich nicht immer wieder aufs Neue behaupten zu müssen. Wie sich die Kultur gegen den Populismus weiterhin und noch stärker durchsetzen kann, bleibt die große Frage, der sich die Akteur*innen verpflichtet haben.

Grunskes große Vision ist die eines Tanzhauses in Brandenburg, das eine Anlaufstelle besonders für die zeitgenössische Szene werden soll. Ein solches Haus würde durch die entstehende Sichtbarkeit viele Probleme lösen, eine festere Struktur für den Zeitgenössischen Tanz schaffen, Identität stiften und Gelder wären fester verankert. Es würde der Kunstform einen geschützten und festen Raum geben, der auch für eine gewisse Anerkennung sorgen könnte, die im Moment allen Akteur*innen im Zeitgenössischen Tanz in Brandenburg, aber auch in Berlin und bundesweit fehlt.