The Sun Machine Is Coming Down – Art at the ICC, 7-17 October 2021 © Eike Walkenhorst

Zustände der Freude am ICC

Im Rahmen der von den Berliner Festspielen kuratierten 10-tägigen Ausstellungen unter dem Titel The Sun Machine Is Coming Down im Internationalen Congress Centrum (ICC) präsentiert der Choreograf Tino Sehgal „This Joy“, eine beeindruckende Stimm-und-Bewegungs-Arbeit, in welcher die Leichtigkeit der Partitur von acht Performer*innen brillant umgesetzt wird.

Mit der Veranstaltung The Sun Machine Is Coming Down eröffnen die Berliner Festspiele das historische Internationale Congress Centrum (ICC) nach sieben Jahren fast vollständiger Schließung wieder. Die einzige Ausnahme bildete die Zeit zwischen Dezember 2015 und August 2017, als das Gebäude als Notunterkunft für Geflüchtete genutzt wurde. Die von Thomas Oberender initiierte und von einem Kurator*innenteam entwickelte Veranstaltung vereint ein Programm aus dauerhaften und temporären Kunstinstallationen, Tanz, Konzerten, Zirkus und Podiumsdiskussionen, die den Besucher*innen gemeinsam ein dreieinhalbstündiges Erlebnis bieten. Der Titel ist angelehnt an eine Strophe des Songs „Memory of a Free Festival“ (1969) von David Bowie und erinnert an eine bevorstehende Periode des Wandels, die, wenn man sie auf unsere heutige Zeit überträgt, das Gefühl vermittelt, dass sie eine Post-Covid-Ära willkommen heißen könnte. Das Gebäude selbst ist absolut faszinierend, sowohl von außen als auch von innen. Es sieht aus wie ein verlassenes Raumschiff und erweckt gleichzeitig das Gefühl, in eine andere, vergangene Zeit einzutreten. Das ICC wurde 1979 eröffnet und von dem Architekt*innenehepaar Ursulina Schüler-Witte und Ralf Schüler entworfen, die auch den kultigen Bierpinsel entworfen haben.

Sehgals „This Joy“ ist eine Durational-Performance für acht Tänzer*innen, die auf dem Gedicht „Ode an die Freude“ von Friedrich Schiller basiert, das von Ludwig van Beethoven als Teil seiner Neunten Symphonie vertont wurde und heute als offizielle Hymne der EU verwendet wird. Ursprünglich als Beitrag zur Ausstellung „BEETHOVEN BEWEGT“ (2020-2021) im Kunsthistorischen Museum Wien konzipiert, wird „This Joy“ hier in einer neuen Fassung präsentiert.

Die Aufführung findet in einem kleinen, fensterlosen Kongressraum mit niedrigen Decken und einem Bodenteppich mit quadratischen Motiv statt. Einige dunkelgraue Stühle bilden Inseln, auf denen das Publikum sitzen kann. Es gibt keine andere theatralische Beleuchtung als die, die bereits im Raum vorhanden ist. Es ist ein Raum, der möglicherweise anstrengend und klaustrophobisch wirken könnte. Da ich gerade aus anderen riesigen Räumen des ICC komme, brauche ich eine Weile, um mich anzupassen und mich hier wohl zu fühlen. Nachdem ich aber mehr als eine halbe Stunde darin verbracht habe, stelle ich schnell fest, dass Sehgals Arbeit perfekt in diesen Raum passt, so dass er sich am Ende sogar recht gemütlich anfühlt.

Als ich den Raum betrete, singen und bewegen sich zwei Performer*innen, die eine Abfolge von leisen Tönen und kleinen Bewegungen vollziehen, bei denen Stimme und Tanz miteinander verbunden sind und einander entsprechen. Die Performer*innen bewegen sich nicht nur synchron zu ihrem eigenen Gesang, sondern auch in Reaktion auf die Stimmen der anderen. Nachdem ein weiterer Performer hinzukommt, gesellt er sich zu ihnen. Langsam arbeite ich heraus, dass jedes gesangliche Stimmmotiv einer Choreografie für einen einzelnen Körperteil entspricht und den Moment der Begegnung zwischen den Tänzer*innen hervorhebt.

Das erste Gefühl, welches ich habe, ist, dass mich die Aufführung irgendwie an Freude erinnert, die sich durch Vibrationen manifestiert: Drei Performer*innen reagieren auf die Stimmen der anderen mit schnellem und lebhaftem Schütteln und Kreisen ihrer Köpfe und Schultern, gefolgt von Bewegungen ihrer Finger und Hände. Die zweite Empfindung ist Freude als Ruhe und Stille: Drei Performer*innen legen sich auf die Sofas, machen zuerst Mikrobewegungen und verschmelzen dann mit den Sofas und dann mit dem Boden, als ob sie verschwinden würden. Das dritte Gefühl ist die Freude als Begegnung: Jede*r Performer*in hört dem*der anderen zu, reagiert auf Inputs und ist sehr aufmerksam gegenüber dem Publikum und sucht nach einer emotionalen Verbindung mit uns. In diesem Sinne sehe ich es als einen Verweis auf die Bedeutung hinter Beethovens Komposition, die der Freude an der Brüderlichkeit und Schwesternschaft zwischen den Menschen gewidmet ist.

Als ich den Raum ein zweites Mal für etwa zwanzig Minuten betrete, findet eine Choreografie mit drei Personen statt, deren Bewegungen an Hoftänze erinnern. Was den Klang betrifft, so fühle ich mich gleichzeitig an einen Resonanzboden und eine Höhle erinnert, in der jeder Ton perfekt zu hören ist. Manchmal habe ich das Gefühl, dass die Darsteller*innen wie Vögel sind und sich gegenseitig mit ihren Stimmen antworten. Insgesamt überkommt mich das Gefühl, dass es sich um eine Aufführung voller Licht handelt, die Zeit und Aufmerksamkeit erfordert und meine Sinne vertieft und erweitert.

Übersetzung ins Deutsche von Alex Piasente


The Sun Machine Is Coming Down – Kunst im ICC lädt die Zuschauer*innen ein, die ikonische Architektur frei zu erkunden, die zehn Tage lang, bis zum 17. Oktober 2021, in Wechselwirkung mit künstlerischen Arbeiten geöffnet sein wird. Das tägliche Programm und Ticketinformationen finden sich unter: www.berlinerfestspiele.de/.