at.tension ©Miriam Taschler

Zu viel? Oder doch nicht alles?

Menschliche Schafe (Corpus Les moutons), eine Baronin auf einer riesigen Schnecke (Superbammer Boris und die Baronin), kritische Stimmen zu Frauen im HipHop (Cie. MehDia MériDio). Das alles war auf der at.tension vom 05. bis 08. September zu sehen.

Eindrücke prasseln auf mich ein: Tänzer*innen in bunten Outfits, die die Menge zum Tanzen animieren: „We are at the gym, but we are also sensual creatures!“ (Niv Sheinfeld & Oren Laor Disco, Baby!). Werbemagazine, die in hohem Bogen ins Publikum geworfen werden (Peter Trabner Das Leben des Diogenes). Wut und Widerstand (Just Us Dance Theatre Born to Exist: The Women I Know…). Queerness und das Weltraumrennen (Laura Murphy A Spectacle Of Herself).

Von den tänzerischen Darbietungen war ich besonders bewegt von Cie. Dyptiks Mirage (un jour de fête), das traditionelle Tänze wie Dabke mit Breakdance und zeitgenössischen Tanzelementen verbindet. Auf Gerüsten kletternd, hängend, tanzend, bewegen sich die acht Tänzer*innen wie auf Dächern, engen Straßen und Plätzen symbolisch durch das Camp Balata im Westjordanland. Schnelle Drehungen, grazile, lange Arme, Hebefiguren, Staccato-Bewegungen. Bis alle zugleich zu Boden fallen „it doesn’t hurt“. Das Stück verbindet Freude, Trauer, Enttäuschung über fehlende Aufmerksamkeit. Alleine sein und alleine gelassen zu werden. Unbeschwertheit, die bröckelt und schließlich bricht. Trotzdem weitermachen. Performen. Sich freuen, auch in ungelegenen Umständen. Am Ende eine Party auf den Dächern und wir alle werden aufgerufen, mitzumachen.

Nicht nur größere französische Kompanien sind auf der at.tension, auch ein paar lokale Künstler*innen präsentieren ihre Arbeit. So zum Beispiel Darragh McLoughlin mit Stickman, einem zeitgenössischem Zirkusstück über einen Stick-Man, Man/Stick, Man walking Stick. So spielt McLoughlin mit unterschiedlichen Bildern, den Stock auf diversen Körperteilen balancierend. Humorvolle und clevere Szenen entstehen, begleitet von einem Bildschirm, der uns vorzuschreiben scheint, was wir sehen. Kleine Veränderungen erzeugen neue Bilder, Stickman spielt mit unserer Wahrnehmung. Wer hier wem vorschreibt, was zu tun oder was zu sehen ist verschwimmt immer mehr. Am Ende finden wir heraus, das doch ein ganz anderer die Zügel in der Hand hält. Die Beziehung zwischen Objekt, Technologie, vielleicht KI und Mensch wird in Frage gestellt sowie unsere Motivation zum Handeln.

Auch die Initiative Feministischer Circus ist vertreten. Im Double Bill betweenness und Seide&Stahl setzen sich die zwei Berliner Künstler*innen Zinnia Nomura und Jarmila Lee-Lou Kuznik mit vergeschlechtlichen Rollenbildern und Körpernormen auseinander. Leistungsdruck, Anders-Sein und sich Anpassen verschmelzen in akrobatischen und tänzerisch starkem Ausdruck. Bilder, die wir täglich auf Social Media sehen, werden überspitzt in Frage gestellt. Kuznik kombiniert Kraftsport mit Luftartistik, um starke Frauenbilder zu erzeugen, statt grazile Leichtigkeit. Selbst- und Fremdausbeutung werden in Frage gestellt und was wir gesellschaftlichen Wert zuschreiben. Am Ende haben wir vielleicht die feminine und starke Person gefunden, bevor dann doch alles egal ist und Rollenbilder in ihrer Gänze hinterfragt werden.

Hinter der Bühne wird über Selbst- und Fremdausbeutung gesprochen, über Repräsentation, prekäre Umstände und schlechte Bezahlung – auch auf diesem Festival. Müde von der prallen Sonne, in der ich nur saß und nicht performte, fühle ich Empathie für die Künstler*innen, die es durch aufwändige Bewerbungsanträge oder Vitamin B auf dieses Festival geschafft haben und unter nicht-so-idealen Umständen ihr Bestes geben.


Das Theaterfestival at.tension #10 fand vom 05. bis 08. September 2024 in Lärz statt.