Studierende des Bachelorstudiengangs Theaterwissenschaft an der Freien Universität teilen ihre Erfahrungen der Veranstaltung Tanz Macht Berlin am 01. Februar 2025 in der Akademie der Künste.
Im Rahmen des Seminars “Alors on Danse – Tanz und Arbeit” am Institut für Theaterwissenschaft an der FU Berlin hat unsere Kollegin Antonia Gersch mit den Studierenden die Arbeitsrealitäten Tanzschaffender in den Blick genommen. Inmitten des Seminars im Wintersemester 2024/25 fielen die Haushaltskonsolidierungen Ende 2024, die Proteste im Rahmen von #BerlinIstKultur, der Zusammenbruch der Bundesregierung, die Wiederwahl von Trump sowie seine Vereidigung als Präsident der USA. Nicht unbedingt rosige Zeiten – dennoch haben die Studierenden sich intensiv in die Förderlandschaft Deutschlands mit besonderem Fokus auf die Tanzförderung in Berlin eingearbeitet. Mit diesem Vorwissen waren sie mit journalistischem Auftrag Teil der Veranstaltung Tanz Macht Berlin. In ihren Reports werten sie die Veranstaltung aus, u.a. hinsichtlich der Wichtigkeit des Dialogs in Krisenzeiten.
Move, Joe! Get out the way, Joe!
von Lotta Duks
Am 01. Februar traf sich die Berliner Tanzszene mit Kultursenator Joe Chialo – zu Dialog und Konfrontation. Es ging um Notwendigkeiten und Visionen, um Kürzungen, Spartengerechtigkeit und Wut. Immer wieder Wut.
Berlin, Akademie der Künste. Draußen ist es kalt und vernebelt. Links zittert ein Page vor dem Adlon, rechts Fahnen vor dem Brandenburger Tor. Die Brandmauer schwankt nicht mehr nur – sie stürzt krachend ein, und Protestwellen in digitalen und analogen Räumen schreien wütend dagegen an. Drinnen scharren orangefarbene Polsterstühle über den Boden. Noch tanzen Performer*innen unter Cowgirlhüten, begleitet von Stimmengewirr über eine Leinwand. Die Stimmung? Kaum weniger geladen als draußen. Berliner Kulturschaffende sind von drastischen Kürzungen und Sparmaßnahmen betroffen und der Senator für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt Joe Chialo (CDU) lässt auf sich warten – die darauf bezogenen Seitenhiebe nicht. Immerhin nicht abgesagt – mutig. Das wird ihm halb ironisch auf dem Polsterstuhl hinter mir zugute gehalten.
Drei Wörter stehen über der Veranstaltung: Tanz. Macht. Berlin. Es ist eine Veranstaltung vom und für den Tanz. Ein Diskussionsforum, zu dem die Akademie der Künste, das Tanzbüro Berlin und Zeitgenössischer Tanz Berlin e.V. eingeladen haben, das als Zukunftslabor für den Runden Tisch Tanz gedacht war und nun zu einem Krisentreffen für Tanzschaffende geworden ist. Notwendig, denn mit einem Kürzungsvolumen von über 23 Millionen Euro sind es die Künstler*innen der freien Szene, die die Hauptlast der Konsolidierung tragen.
Den Tanz, in der Förderungsstruktur sowieso kritisch vernachlässigt, trifft es besonders hart. Die Koalition der Freien Szene kritisierte das scharf: „Zwar wurden nach Bekanntgabe der ersten Konsolidierungsliste innerhalb des Kulturetats Verschiebungen vorgenommen – doch bedeutet jede Erleichterung für einzelne Bereiche zusätzliche Belastungen oder das Ende für andere.“ Das schafft Konkurrenz in einer Szene, die so eingeschworen, im Kern so solidarisch ist, wie kaum eine andere. Ein Spiel, das sich die Anwesenden weigern zu spielen – soviel wird klar, kaum dass der Senator den Raum betritt und dreizehn Statements das Forum eröffnen. Sie werfen Schlaglichter auf verschiedene Perspektiven, Handlungsebenen und Generationen von Berliner Tanzschaffenden. Es ist der Ton – persönlich, betroffen, wütend – der deutlich macht, worum es hier geht: nicht nur um Zahlen, es geht um Existenzen.
„Every day I’m hustling“, ruft Joana Tischkau, die ihre vier Minuten Sprechzeit nutzt, ohne dabei Luft zu holen. „Wir waren schon immer prekär“, ruft Elena Polzer, Produzentin und Mitbegründerin des freien Kulturbüros Ehrliche Arbeit. „Wir haben schon immer mit Mangel gearbeitet. Jetzt ist nichts mehr da, mit dem wir arbeiten können.“
„Der Tanz ist ein Mehrgenerationenhaus“ ruft sie – und es bröckelt, denke ich.
Was es braucht, um dieses Haus auf ein stabiles Fundament zu setzen, weiß die Szene sehr genau. Spätestens mit dem Runden Tisch Tanz wurde 2018 ein nachhaltiger Entwicklungsplan aufgestellt, der die bestehenden Strukturen in den Blick nimmt, sie ausbessert und existentiell stärkt. Es fehlt also nicht an Plänen, nicht an Expertise, sondern an Unterstützung aus der Politik.
Das sei schon fast „Nachsitzen für den Kultursenator“ gewesen, wird Thomas Fitzel später im radio3/rbb sagen. Wieviel davon hängen geblieben ist, bleibt offen. Für ihn sei fraglich, ob die Entscheidungen von 2018 „heute noch tragbar“ sind, stellt Chialo fest, als er für die anschließende Paneldiskussion selbst zum Mikrofon greift. Elena Polzer, die neben mir schwindelerregend schnell an pinken Socken strickt, stößt dabei wütende Seufzer aus. Als er noch versucht, sich Applaus einzufordern und um Verständnis in einer „Zeit des Mangels“ bittet, bevor er die Veranstaltung frühzeitig wieder verlässt, werden nur Köpfe geschüttelt und Augenbrauen hochgezogen. Applaus bekommt er nicht.
Er lässt eine Szene zurück, die weiß: Hier geht es um Wut. Es geht aber auch um Solidarität und das Wissen um die eigene Resilienz. Und dann, soviel wird klar, geht es um Dialog, immer wieder, trotz – und mit der Wut.
Tanz Macht Berlin: Warum die Berliner Tanzszene auf der Kippe steht
von Tatia Asatiani
Die Berliner Tanzszene steht vor einer ungewissen Zukunft, es fehlt eine langfristige Perspektive. Die Diskussion um die öffentliche Tanzförderung wirft grundsätzliche Fragen auf: Wie sieht nachhaltige Kulturpolitik aus?
Genau aus diesem Grund – um über die Zukunft der Tanzszene Berlins zu sprechen – fand am 1. Februar 2025 das Diskussionsforum „Tanz Macht Berlin!“ in der Akademie der Künste am Pariser Platz statt. Zahlreiche Tanzschaffende und Vertreter*innen des Tanzbereichs hatten hier die Gelegenheit, ihre Standpunkte zu vertreten und kritische Fragen zu stellen. Vor allem die Einsparungen im Berliner Kulturbereich geben Anlass zur Sorge: Die Beschäftigungssituation im Tanz- und Performancebereich ist nach wie vor prekär. Viele Künstler*innen sehen ihre Existenz bedroht, da ihre Zukunft zunehmend unsicher ist. Die Fragen der Anwesenden waren daher nicht abstrakt, sondern direkt an den anwesenden Berliner Kultursenator Joe Chialo gerichtet.
Die Bedeutung des Tanzes und der freien Szene für die Berliner Kulturlandschaft steht außer Frage – ihr historischer und soziokultureller Wert ist unbestreitbar. Dennoch muss gerade in der aktuellen Situation die essentielle Rolle des Tanzes in Bezug auf Diversität und Inklusion erneut betont werden. Dabei darf nicht vergessen werden, dass Tanzschaffende und Kulturschaffende in diesem Bereich kaum über stabile Finanzierungsmöglichkeiten verfügen. Während die großen Theater und Institutionen vergleichsweise gut ausgestattet sind, erhält der Tanzbereich – selbst mit dem Staatsballett – nicht annähernd die gleiche finanzielle Unterstützung wie ein einziges Sprechtheater in Berlin. Die aktuellen Kürzungen treffen besonders freischaffende Künstler*innen, deren Existenz stark von öffentlicher Förderung abhängt. Steigende Mieten und unsichere Arbeitsverhältnisse in Berlin machen eine künstlerische Existenz immer schwieriger.
Die fehlende institutionelle Absicherung zeigt sich auch darin, dass es in Berlin nach wie vor kein Tanzhaus gibt, das kontinuierlicher Arbeits- und Präsentationsort für Tanzschaffende sein könnte. Seit 2018 hat der Runde Tisch Tanz Berlin sieben Maßnahmen erarbeitet, die der Szene langfristige Stabilität und klare Strukturen bieten sollen. Dazu gehörten unter anderem die Stärkung der dezentralen Tanzorte oder die Gründung des Tanzarchivs Berlin, das die gesellschaftliche und kulturelle Bedeutung des Tanzes dokumentieren soll.
Nach den aktuellen Kultureinsparungen erscheint all dies jedoch als kurzfristige Hoffnung – das lang ersehnte Haus für Tanz und Choreografie in weiter Ferne. Die Kürzungen zeigen deutlich, wo gespart wird – nämlich genau dort, wo Unterstützung am dringendsten gebraucht wird. Das wirft die Frage auf: Welche Prioritäten setzt die Berliner Kulturpolitik? Angesichts dieser Entwicklungen stellt sich eine zentrale Frage: Wäre es nicht sinnvoller gewesen, zunächst mit den Vertreter*innen der Szene zu sprechen, anstatt sie vor vollendete Tatsachen zu stellen? Was kann eine Diskussion noch bewirken, wenn die Entscheidungen bereits beschlossene Sache sind? Angesichts dieser Entwicklungen kann man sich die angespannte Stimmung am Diskussionsnachmittag gut vorstellen.
TANZ MACHT BERLIN – Wie lange noch?
von Jolanthe Prüfer
Am 01.02.2025 soll in der Akademie der Künste ein Raum entstehen, in dem Tanzschaffende über die Zukunft des Tanzes, die im Rahmen der 2024 beschlossenen Einsparungen im Kulturhaushalt existenzbedrohend wirkt, nachdenken und verhandeln.
Wir beginnen trotz ca. 20-minütiger Verspätung des wichtigsten Gesprächspartners, Kultursenator Joe Chialo, mit einer Rede von Nele Hertling, die die Veranstaltung als ursprünglich geplante Reaktion auf den Runden Tisch Tanz einordnet. Aufgrund der im November 2024 beschlossenen Kürzungsmaßnahmen verändert sich die Agenda. Es geht nun um die unsichere Zukunft, die die berliner Tanzszene bedroht.
Nicht-Sagbares durch Tanz ausdrücken
Der Senator für Kultur und gesellschaftlichen Zusammenhalt Joe Chialo betritt den Saal. An dieser Stelle übernimmt Alice Chauchat (Tänzerin, Choreografin) die Moderation und leitet einen wortlosen Prozess an, in dem sich alle gleichgesinnt begegnen. Der ganze Raum gähnt und streckt sich – erst verhalten, dann ausgelassen. Wir kommen im Raum an.
Da der Senator eine Stunde früher gehen muss als angekündigt, werden die anschließend vorgetragenen Statements Tanzschaffender in den unterschiedlichsten Positionen auf vier Minuten pro Person limitiert. In den Statements geht es u.a. um eine nicht zur Genüge ausgebaute Infrastruktur im Übergang von Ausbildungsmöglichkeiten in den Arbeitsmarkt oder die Notwendigkeit zur Ausübung von side hustles innerhalb der freien Szene:
Flee into Another Workform to Make a Living
Angela Alves (Choreografin, Performerin, Tanzwissenschaftlerin) spricht über die Umverteilung der Mittel, die enormen Kürzungen in Inklusions- und Disability Töpfen und erinnert in Bezug auf die gefallene Brandmauer an die historische Situation von Menschen mit Behinderung zu Zeiten des Nationalsozialismus. Der Choreograf Christoph Winkler spricht über die Bedeutung der Kürzungen für internationale- und Umweltarbeit. U.a. Christian Spuck (Intendant Staatsballett Berlin) betont die Wirtschaftskraft von Kultur in Berlin und die Bedeutung des Tanzes für die Berliner Kulturlandschaft.
In allen Statements wird deutlich, dass die Lebens- und Überlebenssituationen von Berliner Tanzschaffenden durch die beschlossenen Kürzungen, äußerst prekär sind. U.a. sprechen außerdem: Elena Basteri (aufgelöstes Projekt Access Point Tanz), Eva Maria Hoerster (HZT), Karin Kirchhoff (Kulturstiftung des Bundes) und viele weitere.
Maybe Stop with the Term Artists. We are Cultural Workers.
Der Senator hat in der anschließenden Paneldiskussion, die nach stark verkürzter Pause stattfinden muss, die Möglichkeit, auf die Statements einzugehen. Elisabeth Nehring moderiert in scharfem und direktem Ton. Der Kultursenator kommt immer wieder auf dasselbe Totschlagargument zurück: Man müsse gucken, was unter den aktuellen Rahmenbedingungen möglich ist, es sei eben eine Konkurrenzsituation. Joe Chialo schlägt einen Dialog zur gemeinsamen Priorisierung vor und betont, dass Bemühungen stattgefunden haben, z.B. in Richtung Aufbau eines jungen Tanzhauses. Elisabeth Nehring erklärt, dass für den Runden Tisch vorgesehene Mittel hierfür umverteilt wurden, was zu starkem Unmut in der Szene führt.
Es müssen neue Töpfe geöffnet werden.
Bevor der Senator aufbricht, wird die Forderung nach einer konkreten Terminvereinbarung laut. Chialo stimmt zu und verweist auf seine Mitarbeiter*innen. Wir atmen noch einmal gemeinsam mit Alice Chauchat die entladene Energie in den Raum hinein, nehmen mit, was wir bei uns behalten wollen und lassen hier, was wir loswerden wollen. Die Veranstaltung klingt im Dialog aus.
Kulturförderungen sind kein Sozialdienst! Die Berliner Tanzszene fordert politischen Handlungswillen und Beschlüsse
von Clara Wendel
Die Berliner Kulturszene sieht sich existenziellen Kürzungen gegenüber. Die Tanzszene fordert bei einer Podiumsdiskussion mit Kultursenator Chialo verbindliche Beschlüsse, um Kultur als gesellschaftliches Fundament zu sichern.
Vergangenen Dezember beschloss das Berliner Parlament drastische Kürzungen im Kulturhaushalt, die auch die Tanzszene schwer treffen. Als dezentral gestaltete und nicht-profitorientierte Kunstsparte ist Tanz eine tragende Säule der Demokratie. In diesem Kontext veranstalten das Tanzbüro Berlin und die Akademie der Künste am 02.02.2025 ein Diskussionsforum in der Akademie der Künste am Pariser Platz. Auch Kultursenator Joe Chialo ist dabei anwesend, um Potenzial, Visionen und Bedürfnisse der Berliner Tanzszene zu besprechen.
Die aufgeladene Energie bedrohter Existenzen füllt den Raum. Verschiedene Gesichter der Berliner Tanzgemeinschaft artikulieren Forderungen, einige davon direkt an Chialo. Choreografin Angela Alves betont, dass besonders die Fördertöpfe für Diversität betroffen seien: „Was soll ich Ihnen sagen?“, fragt sie nachdrücklich in die betretene Stille. Blinde, Taube, behinderte Menschen und chronisch Erkrankte wie sie selbst hätten kaum noch Perspektiven. Dabei sei gerade die Tanzszene treibender Motor für Inklusion und Diversität. „Everyday I´m hustlin´“, zitiert Choreografin Joana Tischkau und kritisiert damit die Selbstausbeutungsökonomie des Kulturbetriebes. Auch sie erläutert, das „Zeitfenster“ der „diversitätssensiblen Öffnung“, durch das sie mit Glück in den Kulturbetrieb gelangt sei, werde durch die Kürzungen wieder geschlossen. Mit dem abgewandelten Vers „Move Joe, get out the way!”, verbalisiert sie die Stimmung der Tanzszene: Sie braucht Taten statt beschönigender Worte.
Chialo stellt infrage, ob die 2018 beschlossenen Maßnahmen zur Tanzförderung im Licht aktueller Herausforderungen weiterhin gelten und spricht von einem intendierten Dialog zur Findung eines gemeinsamen Entwicklungsplans. Kritischen Nachfragen weicht er aus, indem er auf einzelne weitergeförderte Projekte verweist. Bevor er geht, fordert Nele Hertling – die Grand Madame der Kulturszene – eine politische Absichtserklärung.
Im zweiten Teil der Diskussion symbolisiert ein leerer Stuhl die spürbare Lücke der politischen Instanz. Es ist die Rede von einem „Pseudodialog“ und fehlendem Entscheidungs- und Handlungswillen. Creative Producer Elena Polzer äußert: „Wir haben schon immer mit Mangel gearbeitet, jetzt ist praktisch nichts mehr da. […] Kulturförderung ist kein Sozialdienst! Es geht nicht nur um Tanz, es geht um alles!“. Marie Henrion, Leiterin des Berliner Tanzbüros, appelliert abschließend an die Zusammenarbeit bestehender Solidaritätsnetzwerke. „Das haben wir schon immer geschafft und das schaffen wir auch jetzt!“
Am besten eint ein gemeinsamer Feind
von Joyce Aden
Die Berliner Tanzszene traf sich am 1.2. in der AdK, um über die Zukunft der Branche zu diskutieren. Mit dabei: Kultursenator Joe Chialo, der wegen der Haushaltskürzungen in einem Raum voller Kulturschaffender schweres Spiel hatte.
Eigentlich wurden größere Fragen gestellt. Doch wenn es in den letzten Monaten in Berlin um Kultur geht, dann stehen immer und an erster Stelle die Haushaltskürzungen des Senats. Und wenn dann auch noch Kultursenator Joe Chialo zur Veranstaltung eingeladen ist, lässt sich ein anderes Thema kaum vorstellen.
Das Diskussionsforum Tanz Macht Berlin fand am 1. Februar in der Akademie der Künste statt. Neben der AdK sind das Tanzbüro Berlin und der Zeitgenössische Tanz Berlin e.V. an der Organisation beteiligt. Bei dem Event kamen in mal mehr, mal weniger moderierten Segmenten verschiedene Menschen aus der Tanzszene zu Wort; von aufstrebenden Choreograf*innen über Journalist*innen bis hin zu Intendant*innen großer Institutionen.
Doch von der Eröffnungsmoderation an war der wahre (Anti-)Star des Nachmittags bereits gesetzt. Um einem kurzfristigen Termin des Kultursenators Chialo nicht zu sehr in die Quere zu kommen, musste das Programm geändert werden, denn dieser hat um Punkt Fünf weiterzuziehen. Die amüsiert-frustrierten Reaktionen darauf prägen die gesamte Zeit. Da scheint es fast inszeniert, dass der Senator zu spät kommt und die ersten, häufig direkt an ihn gerichteten, vorgetragenen Statements verpasst.
Es wirkt auf mich so, als würde sich die Tanzszene an diesem Tag finden, um nach Jahren trügerischer Ruhe für ihre Position laut zu werden und zu kämpfen. Chialo bietet da den perfekten Gegner. Er trägt Mitschuld an der Kürzungsmisere und repräsentiert eine Partei, eine Regierung, eine Politik, die seit Jahren den Tanz vernachlässigt. Und das obwohl dieser, gerade wenn er in Berlin passiert, einen international guten Ruf genießt. Dass der Kultursenator sich überhaupt traut, aufzutauchen, beeindruckt schon. Mehr als das Beharren auf die scheinbaren Erfolge, die Schwierigkeit der Lage und die zurechtgelegten Buzzwords („Dialog“, vor allem) habe ich da von einem Berufspolitiker auch nicht erwartet.
Dann passiert ihm doch noch ein Fauxpas. Er fordert Applaus für das Junge Tanzhaus ein, zugunsten dessen anderen Projekten Mittel entzogen wurden. Er bekommt Aufruhr und längere, stark emotionale verbale Angriffe. Bald später muss er auch schon los und trotz kleiner Pause brodelt es noch immer im Saal.
Die Veranstaltung schließt mit einer offenen Diskussionsrunde. Diese beginnt, erwartbar, mit viel Frust über den Gast. Doch bald schon verschiebt sich der Fokus. Es wird erinnert: Dies ist nicht der letzte Kultursenator. Er wird nicht für immer bleiben. Und: Er ist nicht der einzige Politiker mit Macht. Selbst der Senat entscheidet nicht alles alleine. Das starke Wir-Gefühl, das Selbstvertrauen, was die Tanzszene diesen Nachmittag in Opposition zum Senator gefunden hat, es scheint jetzt umgelenkt zu werden. Die Fragen wandeln sich von: Wie kriegen wir Chialo dazu, gute Politik zu machen? Zu: Wo können wir jetzt mit welchen Forderungen ansetzen? Als Kulturmensch hoffe ich, dass die Kräfte, die heute zu sehen waren, Früchte tragen werden. Zumindest kann ich hoffen.
Tanz Macht Berlin – Der Kampf um die Anerkennung der Tanzszene
von Rory Kühnler
In der Akademie der Künste trafen Kunstschaffende auf die Politik, um über die Zukunft des Tanzes zu sprechen. Doch statt Lösungen gab es leere Worte an eine Tanzszene, die seit Jahren um Anerkennung kämpft.
Der zweite Teil des Abends in der Akademie der Künste war von Anfang an geladen, es war spürbar, dass es um Existenzängste gehen würde. Ich betrat den Raum mit einer Mischung aus Neugier und Unbehagen, aber schon nach wenigen Minuten wurde die Anspannung greifbar. Der Senator Joe Chialo setzte sich mit Kunstschaffenden aus verschiedensten Bereichen der Tanzszene zusammen, um an einer Panel-Diskussion teilzunehmen. Es waren nur 30 Minuten Zeit, um drängende Fragen zu klären – doch die Erwartungen an klare Antworten waren gedämpft.
Kaum begann der Senator zu sprechen, machte sich Frustration breit. Neben mir lachte eine Frau immer wieder, wenn er das Wort ergriff. Aber es war kein amüsierter Ausdruck, sondern ein Lachen voller Unglauben und Verzweiflung. Als er betonte, dass er Sympathie für die Künstler*innen hege, mussten alle um mich herum lachen. Später kam das Thema „Junges Tanzhaus“ auf, angeblich eine große Chance für die Szene. Doch die Wahrheit ist eine andere: Das Budget dafür kam aus Mitteln, die eigentlich für Maßnahmen des Runden Tischs gedacht waren. Wieder wurde Tanz zur Nebensache gemacht, wieder musste er sich
irgendwo einordnen lassen, anstatt als eigenständige Kunstform ernst genommen zu werden. Doch Tanz braucht Raum. Tanz braucht Zeit. Und vor allem: Tanz braucht Wertschätzung.
Ein Künstler, der im Publikum saß, erhob sich. Seine Stimme war voller Emotion. „Die Tanzszene wird immer als Erstes gestrichen!“ rief er durch den Raum „Das Finanzierungssystem arbeitet gegen uns!“ Man konnte die Wut und Verzweiflung in jedem Wort hören. Ein Moment voller Gänsehaut, der stark in mir hängengeblieben ist.
Nach genau 30 Minuten musste der Senator gehen und hinterließ einen Raum voller Enttäuschung und Frustration. Die Spannung im Raum war kaum auszuhalten. Die kurze Zeit, die der Senator dieser Diskussion einräumte, standen fast symbolisch für die sonst auch zu wenig gesehene Tanzszene. Dies war zumindest der Eindruck, der mir blieb, als Chialo den Raum verließ.
„Einatmen, ausatmen, beruhigen, bereit sein, einander zuzuhören. Mit Mut, Klarheit und Gefühl alles ansprechen.“ Das waren die Worte, mit denen eine für alle offene Diskussionsrunde eingeleitet wurde. Viele sprachen, teilten ihre Sorgen, ihre Erschöpfung. Die Anspannung löste sich ein wenig, aber die Fragen blieben. Wie soll es weitergehen? Wie lange kann man diesen Kampf noch kämpfen? Schlechte Bezahlung, keine Zukunft, immer weiter rennen, bis nichts mehr geht. Als ich den Saal verließ, blieb ein beklemmendes Gefühl. Dieser Abend hatte mich gefordert, hatte es mir schwer gemacht, zuzuhören, alles auszuhalten. Die Frustration, die Wut, die Enttäuschung – Tanz wird immer als Letztes bedacht, immer als Erstes gekürzt. Aber eines steht fest: Solange Tanz nicht als selbstverständlicher Teil der Kultur anerkannt wird, bleibt es ein Kampf. Und es darf nicht
aufgehört werden, diesen zu führen. Unabhängig davon, wie aussichtslos er zu sein scheint.
Sieh mal, wie ich tanzen kann
von Fridolin Löschner
Die Berliner Tanzszene ist weltweit einzigartig. Trotzdem drohen ihr für das Jahr 2025 massivste Kürzungen. „Tanz Macht Berlin“ hat deswegen eine Diskussion mit Joe Chialo und einigen Tanzschaffenden ins Leben gerufen.
Wie können wir Joe Chialo überzeugen? Die Frage ist heute Nachmittag zentral für die Mitwirkenden der Tanzszene. Ihre Forderungen sind klar: Es geht um die Anerkennung von Tanz als eigenständige Kunstform, die richtigen finanziellen Mittel und eine strukturelle Verankerung des Tanzes innerhalb der Berliner Kulturlandschaft.
Deswegen die Paneldiskussion am 01.02. in der Akademie der Künste am Pariser Platz, mit direktem Blick auf das Brandenburger Tor. Moderiert wird der Nachmittag von Alice Chauchat und Christophe Knoch. Sie stellen im ersten Teil der Veranstaltung 13 Tanzschaffende vor, die ihre Situation in Berlin beschreiben, und inwiefern die Kürzungen ihre Arbeit einschränken. Viele der Beiträge gehen unter die Haut, vermitteln ein Gefühl für das Leben der Tanzschaffenden in Berlin. Joana Tischkaus Beitrag ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Eindrucksvoll und emotional schildert sie ihren künstlerischen Werdegang, der bei Null begann, und sie dann zu einer anerkannten und preisgekrönten Künstlerin machte. Doch immer wieder betont sie: Sie sei ein „statistisches Wunder“, nur den wenigsten wäre das möglich, was ihr gelungen ist. Und noch weniger wären es, wenn die Kürzungen so umgesetzt würden. Sie spricht Joe Chialo direkt an, versucht ihm begreiflich zu machen, wie wichtig und wertvoll die Arbeit der freien Tanzszene in Berlin ist. „Move Joe, get out the way“, fordert sie dann schlussendlich. Ein Satz, der noch häufig zitiert werden wird, und gut eine Gefühlslage beschreibt, die viele Tanzschaffende gegenüber dem Senator teilen.
In einer von Elisabeth Nehring moderierten Podiumsdiskussion im zweiten Teil der Veranstaltung, haben einige der Anwesenden die Möglichkeit, Joe Chialo direkt Fragen zu stellen. Er antwortet zwar ähnlich energisch wie die Fragenden, aber inhaltlich zu vorsichtig, zu wenig bereit, konkret zu werden. Immer wieder weicht er aus, verweist auf die besonderen Umstände unserer Zeit, erwähnt, was er schon alles für die Tanzszene getan habe, und bietet Ausweichtermine für andere Gespräche an. Er mag in manchem Recht haben, aber das Problem bleibt: Durchschnittlich 3% des Berliner Kulturetats flossen 2015-2017 in den Tanz, so viel wie in ein einziges Sprechtheater. Viel getan hat sich seitdem nicht.
So sehr es die Teilnehmenden auch versuchen, Chialo lässt sich an diesem Tag auf nichts Greifbares ein, bietet nur einen gemeinsamen Dialog in der Zukunft an. Dennoch war der Nachmittag nicht ganz umsonst — haben sich doch die Tanzschaffenden organisiert und zumindest dem Senator das Thema ins Gedächtnis gerufen. Und doch bleibt der Eindruck: Trotz aller Bemühungen der Tanzschaffenden in Berlin scheint der Senator nur wenig auf sie zuzugehen, und tanzt stattdessen lieber selbst um ihre Fragen herum.
Tanz Macht Berlin mit starken Statements der Berliner Tanzszene und einer anschließenden Diskussion mit dem Berliner Kultursenator
von Klara Paulsen
„Tanz Macht Berlin“ stand auf einer großen Leinwand am Samstag Nachmittag des 1. Februars 2025. Thema waren u.a. die aktuellen Kürzungen und Sparmaßnahmen der Berliner Kulturpolitik im Bereich Tanz.
Rahmenpunkte der Veranstaltung waren die Videoinstallation „Aging und Archiv – Uncertain States“, die ab 13.30 Uhr, im Skulpturengarten der Akademie der Künste besucht werden konnte, um 14.30 Uhr die Begrüßungsreden und anschließenden Statements welche von verschiedenen Persönlichkeiten der Berliner Tanzsparte im Plenarsaal der Akademie der Künste vorgetragen wurden. Sowie der entscheidende Kern und Höhepunkt der Veranstaltung: die Diskussion mit dem Kultursenator Joe Chialo. Abschließend wurden noch Gedanken über die Diskussion gesammelt und in der Runde ausgetauscht.
Der Plenarsaal war voll. Ein schöner runder Stuhlkreis, aus mehreren Reihen und die ebenfalls kreisförmig angeordneten Stühle für die Sprecher*innen in der Mitte, sorgten für die richtige Diskussionsatmosphäre. Aus meiner hörenden Perspektive von meinem Stuhl auf der Fensterseite zum Pariser Platz konnte ich das Geschehen im Saal gut verfolgen.
Nele Hertling hat den Anfang gemacht und alle Anwesenden begrüßt und in die Thematik eingeführt. Marie Henrion vom Tanzbüro Berlin hielt ebenfalls eine Rede und erzählte, dass vermutlich auch die Unterstützung der verschiedenen Tanzbüros, aus 10 Bundesländern, dazu beigetragen hat, die Entscheidung vom Senat, dass das Tanzbüro Berlin ab 2025 nicht mehr weiter gefördert werden soll, rückgängig gemacht wurde.
Alice Chauchat gestaltete den Übergang zum nächsten Veranstaltungsteil mit einer kleinen zweiminütigen Gähn-Streck-Aufgabe, die eine sehr belebende Wirkung hatte: Es wurde an allen Enden und Ecken des Plenarsaals gelacht und alle haben mitgemacht, bevor dann der Ernst begann und die Statements vorgetragen werden sollten. Der Gong, der die Statementsprecher*innen nach vier Minuten auf das Redezeitende hinwies, war oft zu hören. Ein Zeichen, dass viel zu sagen war von Seiten des Tanzes. Dem Senator wurde mithilfe der Statements versucht deutlich zu machen, wie schwer es für Tänzer*innen und Tanzschaffende ohnehin in der Tanzszene ist und was weitere Kürzungen für die ganze Tanzsparte bedeuten würden. In nicht wenigen der 13 Statements wurden auch konkrete Forderungen und Fragen an Joe Chialo gerichtet. Des Öfteren kam beispielsweise die Forderung, dass die Tanzszene ein eigenes Haus für Tanz braucht sowie ein Archiv.
Elisabeth Nehring, die die Diskussion moderierte, fragte Joe Chialo was von dem Gehörten in ihm räsonierte. Dieser antwortete, dass der Referenzpunkt von allem, was gesagt wurde, der Runde Tisch 2018 war und dass wir überlegen sollten, ob das, was dort finanziell auf längere Sicht gedacht wurde, heute noch gehalten werden kann. In der Diskussion sagte er auch, dass ein Dialog in Planung ist, was auch von seinem Haus angeschoben werden soll, ebenfalls sprach er von einer Weiterführung und vielleicht auch Erweiterung der Runde. Wieder mehr in den Dialog zu kommen war auch ein Ziel der Veranstaltung.
Tanz Macht Berlin war eine Veranstaltung der Akademie der Künste in Kooperation mit dem Tanzbüro Berlin und dem Zeitgenössischen Tanz Berlin e.V. Gefördert vom Fonds Darstellende Künste aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Weitere Infos, Bild- und Filmdokumentation der Veranstaltung finden sich auf der Website des Tanzbüro Berlin.