Die Nashörner ist ein Tanzstück von URSina Tossi mit integrierter künstlerischer Audiodeskription. Es richtet sich an Menschen ab 14 Jahren und transportiert einen 1959 geschriebenen Theatertext von Eugène Ionesco in die Gegenwart. Nach der Premiere am 3. April 2025 im Theater an der Parkaue gibt es weitere Vorstellungen im April und Juni 2025.
„Geh‘ in die Knie
Und dreh‘ dich nach rechts
Und dreh‘ dich nach links
Klatsch‘ in die HändeUnd tanz‘ den Adolf Hitler
Und tanz‘ den Mussolini
Und jetzt den Jesus Christus
Und jetzt den Jesus ChristusUnd klatsch‘ in die Hände
Und tanz‘ den Kommunismus
Und jetzt den Mussolini
Und jetzt nach rechts
Und jetzt nach links“Unter Erklingen des 1981 veröffentlichten Liedes „Der Mussolini“ von DAF (Deutsch-Amerikanische Freundschaft) betrete ich den Saal. Die sechs Darsteller*innen (Tenzin Chöney, Elisabeth Heckel, Sakshi Jain, Denis Pöpping, Ilona Raytman, Ingjerd Solheim) tanzen schon passend zu den elektronischen Klängen im synchronen Loop. Sie klatschen in die Hände und auf die eigenen Oberschenkel, bewegen sich mit starken, betont schweren Kreuzschritten in ihrer Formation von links nach rechts. Wie eine Mischung aus Linedance, spontaner Clubchoreografie und Militärübung wirkt der Tanz kraftvoll, mitreißend und – in Begleitung mit dem Liedtext – beunruhigend. Die Kostüme in Tarnmuster, die weiten Cargohosen, Nietengürtel, metallene Akzente und Halstattoos unterstreichen diesen Eindruck deutlich und lassen mich sofort in diese dystopische, kampfbereite Welt eintauchen. Elisabeth Heckel tritt aus der Gruppe an den Bühnenrand. „Das ist kein Stück über Nazis. Es geht nicht um Faschismus. Es geht nicht um die Normalisierung von Faschismus und die mörderischen Konsequenzen.“ Sie spricht ein Anti-Manifest, geschrieben von Choreograf*in URSina Tossi. „Es geht uns vor allem um Verwandlung, um das, was mittendrin passiert, was unmöglich ist zu verstehen und wovon keine sprechen kann, auch wir nicht.“
Stark und eindrucksvoll im Einstieg, lässt die Energie nicht nach. Die Geschichte nach dem gleichnamigen Theaterstück von Eugène Ionesco handelt von einer Stadt, in der eines Tages plötzlich ein Nashorn schnaufend und zerstörerisch durch die Stadt galoppiert. Nach und nach verwandeln sich immer mehr Bürger*innen der Stadt in Nashörner, bis nur noch eine Person übrig bleibt.
In URSina Tossis Version löst das erste gesichtete Nashorn zunächst großen Schock aus. „Es hat meine Katze zertrampelt. Das können wir doch nicht zulassen.“ Das Entsetzen verwandelt sich schnell in die Vorbereitung zum Kampf: von gemeinschaftlichen Armeedrills, zu individuellen Aufforderungen, den Körper als Waffe zu nutzen, bis hin zum gegenseitigen Bekämpfen. Beobachten wir noch die Bürger*innen der Stadt oder schon die Nashörner? Sind die Grenzen noch so klar zu beschreiben?
Wiederholt beobachten wir Verwandlungen zu Nashörnern. Der Widerstand bei den betroffenen Personen ist klein. Für einen kurzen Moment wird die Stirn ängstlich nach einer Beule gesucht, doch schon bald gehen sie in ihrer Rolle auf.
„Heute Morgen waren es sieben. Jetzt sind es schon 37.“
„Sie missen dem zu viel Bedeutung bei. (…) Das geht schon vorbei. (…) Jeder Mensch ist frei. Da war nichts zu machen. Wir konnten nichts machen.“
Endgültig verwandeln sich alle in Nashörner. Nur sind diese nicht mehr dargestellt als schnaufende Kampfmaschinen. Wir, das Publikum, sind die Nashörner, zu denen sich die Figuren höflich gesellen. Ausschließlich Sakshi Jain bleibt zurück. Aber Mensch ist sie auch nicht. Eher ein Roboter, oder ein KI-Avatar. „Um sie zu überzeugen, muss ich mit ihnen sprechen. Um mit ihnen zu sprechen, muss ich erst ihre Sprache lernen. Oder sie meine. Was ist meine Sprache? Ist es Deutsch? Was ist Deutsch?“ Ist das Digitale die Sprache der Zukunft?
Mit eindrucksvoller Kraft und überraschend viel Humor – das Lachen bleibt zwar manchmal in der Kehle stecken – nimmt die Nashörner das Publikum mit, zu dem schwer festzuhaltenden Moment, der die Normalisierung von Faschismus zulässt. Sätze erkennt man aus aktuellen Diskursen wieder. Oder doch aus Diskursen von vor fünf oder zehn Jahren?
„Noch sind wir in der Mehrzahl. Das muss mensch ausnutzen.“
Die Nashörner von URSina Tossi feierte am 3. April 2025 im Theater an der Parkaue Premiere. Weitere Vorstellungen finden im April und Juni 2025 statt.