We Are (Nothing) Everything, Makisig Akin / Anya Cloud ©Jim Coleman

What’s the Limit to your Love?

Bereits zum dritten Mal war das Duett We Are (Nothing) Everything von Makisig Akin und Anya Cloud (16.-19.1.2025, DOCK11) in Berlin zu sehen. Zurecht! ruft die Autorin dieses Artikels, die selten so ein mitgerissenes Publikum erlebt hat.

Ehrlicherweise muss ich sagen, dass einige schon vor dem fulminanten finalen Applaus gegangen waren, und es sei ihnen zugestanden. Denn Intimität ist – selbst wenn wir uns nach ihr sehnen mögen – eine komplizierte Sache, die durch erlernte Scham für das eigene emotionale und körperliche Begehren für viele Menschen schwierig ist. Diejenigen aber, die bis zuletzt blieben und dabei halfen, das in einem endlosen Zungenkuss miteinander verschlungene Performer*innenpaar durch die Publikumsreihen die Tribüne hinaufzubefördern, klatschten stehend Applaus. In den ersten Reihen zogen sich die Zuschauer*innen die T-Shirts aus und schwangen sie wie Fahnen über ihren Köpfen. Stadionstimmung hoch drei. Und auch ich habe mich auf dem Hof vor dem Theater, angesteckt von Akins und Clouds wilden Bodenkämpfen und abenteuerlichen Hebekonstellationen, zu einem kurzen Ringkampf mit einer Bekannten, die ich zufällig bei der Performance traf, hinreißen lassen. Es war ein Fest!

Jetzt, wo ich mein euphorisches Fazit losgeworden bin, kehre ich aber gerne noch einmal an den Anfang des Abends zurück. Der Raum, den wir betreten, ist wie ein Ring, hell ausgeleuchtet und mit Matten ausgelegt, nur die Banden fehlen. Während ich mir auf einer seiner drei Seiten einen Platz suche, spielt DJ Rafush live einen Mix aus elektronischen Beats und Fragmenten bekannter Hits von Händel bis Aqua. Die Performer*innen Cloud und Akin tanzen dazu, Hand in Hand. Mit ihren Bewegungen folgen sie dabei jeweils unterschiedlichen Mustern der sich kontinuierlich transformierenden Polyrhythmen. Sie bestehen auf das Gemeinsame und weisen das Gleiche als Voraussetzung zurück. In einer engen Verschränkung verschieden langer Gliedmaßen endet diese Szene auf der Mitte der Matten. Clouds Gesicht reibt sich sanft an Akins Fußsohlen und ruht für einen Moment in ihnen, bevor sich die beiden mit den Zehen gegenseitig die nass geschwitzten T-Shirts ausziehen.

Alles, was diese Performer*innen haben oder sind, das ist jetzt schon klar, wird eingesetzt, ausprobiert. Alles, was an diesem Abend passiert, reibt sich an den Grenzen des Status Quo, beharrt auf Lebendigkeit, sucht nach Möglichkeiten, um den Raum des Möglichen zu erweitern, mit schierer körperlicher Kraft, mit stiller Zärtlichkeit, mit Witz, Humor und mit so viel Zeit, dass zwischendrin sogar ein Nickerchen möglich ist. Die Arbeit der beiden queeren Künstler*innen, die hier und da auch unter dem Namen The Love Makers Company Stücke zeigen, Workshops geben und in der Tanzfabrik Berlin regelmäßig eine queere Kontaktimpro-Jam hosten, ist viel mehr – oder gar etwas ganz anderes – als „nur” ein sehr gutes künstlerisches Produkt. Sie ist Vehikel und Ausdruck einer besonderen Beziehung, die es vermag, mit ihrer utopischen Liebespraxis ein im positivsten Sinne des Wortes anarchistisches Wir-Gefühl zu stiften.


We Are (Nothing) Everything von Makisig Akin und Anya Cloud wurde vom 16.-19.1.2025 im DOCK11 als dritte Wiederaufnahme gezeigt.