Die Veranstaltung fand am Donnerstag, 11. September 2025 im Freien Werkstatt Theater in Köln statt.
Dokumentiert von Nico Hartwig
ANKÜNDIGUNG
Künstlerische Wege und Karrieren entstehen selten im Alleingang, sondern durch verlässliche Netzwerke, sichtbare Anlaufstellen und professionelle Strukturen, die künstlerisches Wachstum ermöglichen und offen für neue Impulse sind. Die Realität des freien Produzierens stellt für alle Tanzschaffenden eine große Herausforderung dar – wie viel mehr noch für diejenigen, die neu ins Berufsleben starten. Durch die zunehmende Verknappung von finanziellen Ressourcen auf kulturpolitischer Ebene wächst der Druck auf das künstlerische Arbeiten in der freien Szene und damit auf die künstlerische Produktion. Erste geförderte Nachwuchsformate werden bereits eingespart – umso dringlicher stellt sich daher die Frage: Wie können junge Tanzschaffende unter immer fragileren Bedingungen ihren Weg in die freie Szene finden? Und was braucht es, damit ihre Impulse auch künftig die Weiterentwicklung der Szene (vor Ort) bereichern können?
Mit der werkstatt tanz.allianzen lädt das nrw landesbuero tanz zu einem Arbeitstag ein, der den Fokus auf das richtet, was gemeinsam möglich ist: Allianzen bilden. Wie können sich Akteur:innen aus allen Bereichen der künstlerischen Produktion und Präsentation in NRW vernetzen, um die Anfänge einer professionelle Tanzpraxis zu gestalten? Wie lassen sich vorhandene Ressourcen bündeln und bestehende Formate weiterentwickeln? Welche Formen von Kooperation, Förderung und Sichtbarkeit sind notwendig, um Berufseinsteiger:innen langfristig zu stärken und in NRW zu halten?
Die werkstatt tanz.allianzen ist als moderierter Workspace konzipiert, in dem gemeinsame Strategien entwickelt, konkrete Bedarfe sichtbar gemacht und bestehende wie neue Formate reflektiert werden. Eingeladen sind alle Player, die mit dem Übergang von der Ausbildung in die freie Tanzpraxis befasst sind – Veranstalter:innen, Produktionshäuser, Ausbildungsinstitutionen, Vertreter:innen der freien Szene sowie Künstler:innen am Beginn ihrer beruflichen Laufbahn. Im Dialog zwischen Ausbildung, Praxis und der Szene wollen wir gemeinsam erkunden, wie Emerging Artists perspektivisch und nachhaltig in NRW produzieren können. Welche Fördermodelle entlang künstlerischer Biografien sind denkbar? Und welche Formen von Kooperation und Netzwerkbildung können dazu beitragen, Berufseinsteiger:innen langfristig zu stärken und ihre Sichtbarkeit in der freien Tanzszene zu sichern?
Teilnehmende: Elsa Artmann (Tänzer:in, Choreograf:in, künstlerische Leitung SANFTE ARBEIT, Köln), Niklaus Bein (K3 – Zentrum für Choreographie | Tanzplan Hamburg, Hamburg), Daniela Ebert (Mittelzentrum Zeitgenössischer Tanz Bonn), Heike Lehmke (nrw landesbuero tanz), Kati Masami Menze (Performerin, Künstlerin, Essen), Esther Murdock (Choreografin, Essen), Daria Nazarenko (Mulitimedia Artist, Köln), Gaia Pellegrini (Choreograf:in, Performer:in, Essen), Philipp Schaus (tanzhaus nrw), Constanze Schellow (Zentrum für Zeitgenössischen Tanz / Hochschule für Musik und Tanz Köln), Josefine Luka Simonsen (Performance-Künstler:in, Köln), Jascha Sommer (Freies Werkstatt Theater), Stephanie Thiersch (Kompanie MOUVOIR) Moderation: Rika Sakalak
Eine Veranstaltung des nrw landesbuero tanz. Konzipiert von: Heike Lehmke, Vivica Bocks, Valerie Wehrens
ABLAUF
10:00 > Ankommen
10:30 > Begrüßung
Heike Lehmke, Vivica Bocks (nrw landesbuero tanz)
Moderation: Rika Sakalak
Teil 1: Einblick: Perspektiven auf den Berufseinstieg Tanz
10:50 > Panel 1: Persönliche Perspektiven auf den Berufseinstieg Tanz
Daria Nazarenko, Elsa Artmann, Esther Murdock, Josefine Luka Simonsen, Gaia Pellegrini, Kati Masami Menze
im Anschluss Q&A
11:40 > Panel 2: Institutionelle Perspektiven auf Nachwuchsformate
Jascha Sommer (Freies Werkstatt Theater), Philipp Schaus (tanzhaus nrw), Daniela Ebert (Mittelzentrum Tanz Bonn), Niklaus Bein (K3 – Zentrum für Choreographie | Tanzplan Hamburg, Hamburg), Heike Lehmke (nrw landesbuero tanz), Stephanie Thiersch (Kompanie MOUVOIR), Constanze Schellow (Zentrum für Zeitgenössischen Tanz)
im Anschluss Q&A
12:30 > Themen und Ideen sammeln
Teil 2: Workspace: Bedarfe, Formate, Strategien
14:00 > Arbeitstische
Tisch 1: Baukasten – konkrete Ideen, nächste Schritte, Realitätscheck
Tisch 2: Utopien – offener Ideenaustausch, Wunschkonzert, Zukunftsbilder
Tisch 3: Hürden – aktuelle Herausforderungen & Problemstellungen
Tisch 4: Joker – Thema aus dem Vormittag
15:30> Fishbowl: Wie geht es weiter?
16:00 > Shake up mit Kati Masami Menze
Teil 3: Ausblick: Allianzen bilden
16:15 > Verabredungen & Commitments
17:00 > Ende & Ausklang
ERGEBNISSE
1. Ausgangspositionen und Wissenstransfer
Bei der werkstatt tanz.allianzen stand der Berufseinstieg von produzierenden Tanzschaffenden im Fokus. In zwei Panels teilten eingeladene Künstler: innen und Vertreter: innen von Institutionen ihre Perspektiven auf den Berufseinstig Tanz. Daraus wurde deutlich, dass künstlerische Praxis von einer Vielzahl an Spannungsfeldern geprägt ist.
Tanz-Künstler:innen am Beginn ihrer Berufstätigkeit berichteten von der Herausforderung, ihre Arbeit zwischen ökonomischer Prekarität, institutionellen Anforderungen und eigenen künstlerischen Interessen auszubalancieren. Zentrale Themen waren das Navigieren zwischen verschiedenen Rollen, die eigene Sichtbarkeit, der Wert von künstlerischer Forschung ohne Produktionsdruck, der Rückhalt durch Netzwerke und der Umgang mit Krisen. Immer wieder wurde deutlich, dass individuelle Unsicherheit und Überlastung eng mit strukturellen Bedingungen verbunden sind. Offizielle Verfahren wie Bewerbungen, Antragslogiken, Auditions und Förderkriterien verlangen von Künstler:innen eine Anpassung an institutionelle Formate und Sprachnormen. Gleichzeitig entstehen viele relevante Chancen und Zugänge über informelle Netzwerke und Peer-Beziehungen, die fehlenden institutionellen Sicherheitssysteme kompensieren und Räume schaffen für Austausch, Anerkennung und gegenseitige Unterstützung. Diese inoffiziellen Strukturen bleiben aber prekär, weil sie keine ökonomischen Möglichkeiten eröffnen und damit keine Kontinuität oder soziale Absicherung bieten. Hinzu kommt, dass die Notwendigkeit, sich selbst konstant zu präsentieren, Projekte zu akquirieren und die eigene Existenz zu sichern, in Widerspruch zu Phasen künstlerischer Forschung, Reflexion oder Ruhe steht. Das führt zu einer permanenten Selbstoptimierung, die zwar Sichtbarkeit erzeugt, zugleich aber Erschöpfung und Unsicherheit verstärkt.
Von institutioneller Seite wurde herausgestellt, dass die Übergänge zwischen Ausbildung, Berufseinstieg und einer nachhaltigen Praxis einen verlässlicheren Gestaltungsrahmen braucht: Viele Formate zur Förderung von Berufseinsteiger:innen sind zeitlich begrenzt oder an strukturelle Bedingungen gebunden. Gezielte Förderprogramme für den künstlerischen Nachwuchs gibt es in NRW derzeit nicht. Daher stellt sich die Frage: Wie kann es auf dieser Grundlage zu einem langfristigen Arbeitszusammenhang von Seiten der Veranstaltenden kommen? Diskutiert wurde außerdem die Wirkung von Begriffen wie „Nachwuchs“ oder „etabliert“, die auf strenge Marktlogiken verweisen, außerdem die Frage, welche Räume es für Scheitern und Recovery geben kann und welche Verantwortung Institutionen für Solidarität, Care und Peer-to-Peer-Strukturen tragen.
Insgesamt wurde sichtbar, dass es nicht nur um individuelle Strategien, sondern um die Entwicklung weicher, tragfähiger Strukturen geht, die künstlerische Eigenwege ermöglichen, nachhaltige Unterstützung sichern und zugleich neue Formen von Kooperation und Verantwortung erproben. Deutlich wurde auch, dass der Berufseinstieg im Tanz mehr denn je solidarische Netzwerke zur Unterstützung braucht – Allianzen, die in Zeiten von rückläufigen finanziellen Mitteln Angebote machen wie zum Beispiel das Teilen von Ressourcen.
2. Themen-Tische
Tisch 1: TOOLBOX – Vernetzung, Austausch und Infrastrukturen schaffen
Um ein Baukastensystem für den Übergang in den Berufseinstieg zu bilden und vorhandene Ressourcen zu nutzen wurden Ideen für strukturelle Tools gesammelt. Deutlich wurde, dass zahlreiche Angebote zu Wissenstransfer über Förderstrukturen und Projektmanagement bereits existieren, diese jedoch oft nicht bei Berufseinsteigenden ankommen oder nicht genutzt werden. Notwendig erscheint eine fokussierte Kommunikation zugeschnitten auf Künstler:innen, die noch nicht in den üblichen Verteilern und Netzwerken vertreten sind. Hier könnten „Huckepackverfahren“ zwischen Emerging Artists und erfahreneren Künstler:innen helfen, um Einblicke in verschiedene Arbeitskontexte zu ermöglichen und den Wissenstransfer als kollegialem Austausch zu fördern.
- Informations- und Netzwerkangebote für unterschiedliche Künstler:innengruppen transparenter und zugänglicher gestalten – konkret für Absolvent:innen von Hochschulen, aber auch für den nicht-akademischen Nachwuchs.
- Tagesvolontariate, Hospitanzen oder Praktika schaffen, um Einblicke in Produktionskontexte von Tanzkompanien oder Institutionen zu ermöglichen.
- Begleitende finanzielle und organisatorische Unterstützung sichern, damit Volontariate, Hospitanzen und Praktika nicht an ökonomischen Barrieren scheitern.
- Produktionsbüro für Künstler:innen, das organisatorisch unterstützt und Vernetzung erleichtert.
- Gemeinsame Abschlusspräsentationen zwischen der Folkwang Universität und dem ZZT/HfMT Köln realisieren um gebündelt Veranstalter:innen einzuladen.
- Gemeinsame Präsentations- und Proberäume nutzen, auch städte- oder institutionsübergreifend, um Ressourcen effizient zu teilen.
- Klare Kommunikations- und Austauschformate zwischen Künstler:innen und Institutionen schaffen, um Rollen, Erwartungen und Produktionsbedingungen transparent zu machen.
Tisch 2: LANGFRISTIGE WÜNSCHE UND MÖGLICHKEITEN
Hier wurde bewusst utopisch gedacht, um Visionen und Ideen in weiterer Zukunft zu entwickeln. Im Zentrum stand zwar der Übergang von der Ausbildung in die Berufspraxis, doch darüber hinaus wurden auch neue Formen der Vernetzung, gesellschaftliche Öffnungen und Plattformen zum Wissensaustausch diskutiert.
- Praxisjahr (perspektivisch über ein Stipendium zu finanzieren), um die Lücke zwischen Ausbildung und professionellem Leben zu schließen – konzipiert für die freie Szene.
- Peer-to-Peer-Modelle schon in den Hochschulen verankern, generationen-übergreifend denken: Ressourcen teilen (Tanzklassen, Wissen zu Anträgen/Steuerfragen, Räume), dezentrale Formate, digitale Plattformen/Webinare mit Ansprechpersonen.
- Kunst stärker in gesellschaftliche Kontexte zirkulieren lassen: Vernetzung mit Bereichen wie Wissenschaft, Sozialwesen oder Stadtplanung, wo auch finanzielle Mittel verfügbar sind. Beispiel: Theaterbesuche als ärztliche Verschreibung („Art as Social Health Care“).
- Nutzung bestehender Infrastrukturen flexibilisieren: Sommernutzung von Hochschulstudios trotz Regularien wie Versicherungspflichten ermöglichen.
- Profitraining individualisieren aus der Erfahrung heraus, dass Profitraining in der freien Tanzszene stärker genutzt werden könnte – möglicherweise braucht es andere Formen, die näher an den individuellen Bedürfnissen der Künstler:innen liegen.
- Trainings-Card: Subventionierte Abokarte wie „tanz-card-campus“ für Tanztraining und mehr.
Tisch 3: UMGANG MIT KRISEN UND SCHEITERN
Die Diskussion machte deutlich, dass Krisen und Scheitern Teil des künstlerischen Lebens und der beruflichen Praxis sind. Im Mittelpunkt stand daher die Frage, wie man ihnen begegnen und sie abfedern kann. Wichtig war, Scham abzubauen, Solidarität zu fördern und unterschiedliche Lebens- und Arbeitsrealitäten anzuerkennen.
- Dekonstruktion von Erfolgsnarrativen: Es ist in Ordnung, Übergangszeiten zu haben – zu jobben, beruflich langsamer zu starten oder Trainingspausen einzulegen („No Shame“).
- Mentoring und Empowerment: Begleitung durch erfahrene Künstler:innen, die Perspektiven eröffnen und vermitteln, dass Scheitern dazugehört.
- Gesprächsräume schaffen: Offene Formate zu Feedback, zum Austausch über Scheitern und über unterschiedliche Wege im Berufseinstieg.
- Privilegien und unterschiedliche Tempi anerkennen: Nicht alle haben dieselben Ressourcen. Es braucht Verständnis und Strukturen, die unregelmäßige Produktionsrhythmen akzeptieren.
- Unterscheidung äußerer und innerer Krisen: Förderabsagen, negative Kritik oder ökonomischer Druck haben andere Konsequenzen als künstlerische Selbstzweifel. Beide Ebenen benötigen spezifische Formen der Unterstützung.
- Erschöpfung anerkennen: Zwischen belastender und produktiver Erschöpfung unterscheiden – und Räume für Regeneration ermöglichen.
- Solidarität und Grundvertrauen: solidarische Netzwerke aufbauen, die Krisen kollektiv abfedern, anstatt sie individualisiert auszutragen.
- Institutionelle Verantwortung: Hochschulen und Förderinstitutionen können „Scheitern lernen“ als Kompetenz vermitteln – etwa durch Workshops, Mentoring-Programme oder machtkritische Reflexion.
3. Blick in die Zukunft – Ziele, Verabredungen und Verantwortlichkeiten
Auf Basis der Diskussionen wurden konkrete Ziele definiert, um die identifizierten Herausforderungen nachhaltig anzugehen und neue Strukturen für künstlerische Praxis und Nachwuchsförderung zu schaffen. Es fanden sich jeweils Verantwortliche, um die Umsetzung und Weiterentwicklung sicherzustellen.
- Förderlehraufträge: Alumni sollen ihr Wissen in strukturierten Lehraufträgen weitergeben können, um Peer-to-Peer-Lernen zu stärken und eigene Einkommensmöglichkeiten zu schaffen.
- Kommunikation der Ergebnisse: Die Erkenntnisse der Tagung sollen systematisch an Hochschulen und Institutionen weitergeleitet werden, um Vernetzung und Austausch gezielt zu fördern.
- Hospitanzen und bezahlte Praktika: Strukturiert organisierte Formate sollen Einblicke in Produktions- und Arbeitskontexte ermöglichen und finanzielle Barrieren abmildern.
- Postgraduale Phase: Kooperationen zwischen Hochschulen und Häusern sollen etabliert werden, um Übergänge von der Ausbildung in die professionelle Praxis zu erleichtern.
- Co-Working-Spaces: Räume für informellen Austausch, gemeinsame Arbeit und kreatives Zusammenkommen sollen geschaffen werden, um Vernetzung und gegenseitige Unterstützung zu fördern.
- Gemeinsames Training und Lernen: Angebote für strukturiertes Training und kontinuierliche Praxis sollen etabliert werden, um künstlerische Fähigkeiten zu erhalten und weiterzuentwickeln.
- Peer-to-Peer-Börse: Eine Plattform soll den Austausch zwischen Künstler*innen verschiedener Erfahrungsstufen ermöglichen, Wissen teilen und Mentoring erleichtern.
Diese Maßnahmen bilden die Grundlage für eine gezielte Weiterentwicklung tragfähiger Strukturen aus vorhandenen Ressourcen, die individuelle Wege der Künstler:innen unterstützen, kollektive Netzwerke stärken und die Herausforderungen von Prekarität, fehlender Sichtbarkeit und institutionellen Hürden adressieren.
Die werkstatt tanz.allianzen ist eine Veranstaltung im Rahmen einer Netzwerkförderung des Fonds Darstellende Künste, die ein Zusammenschluss von 10 Tanzbüros/Tanznetzwerken aus 10 Bundesländern zu dem Vorhaben TanzAllianzen bildet: K3 – Zentrum für Choreographie | Tanzplan Hamburg // Fachstelle Tanz Mecklenburg-Vorpommern // ID_Tanzhaus Frankfurt Rhein-Main // nrw landesbuero tanz // Tanzbüro Berlin // Tanzbüro München // Tanzinitiative Brandenburg // TANZKOOP Niedersachsen mit LAFT Niedersachsen // TanzNetzDresden // TanzSzene Baden-Württemberg e. V.
Die werkstatt tanz.allianzen wird gefördert durch: Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW und Fonds Darstellende Künste aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.