In Recess, Alex Piasente-Szymański ©Dieter Hartwig

Wer Kultur liebt…

Wie geht aussagefähige Kunst in Krisenzeiten? Diese Frage stellt Alex Piasente-Szymański mit In Recess. Seine Inszenierung war vom 20. bis 25 Februar 2025 in der Tanzfabrik zu sehen.

„Erwarte nicht zu viel, und du wirst nie enttäuscht“, erinnert uns der Berliner Künstler mit Behinderung Alex Piasente-Szymański, während er die Performance vorbereitet. Kaum zehn Minuten präsent, und schon hat er mit seiner Ehrlichkeit ganz real zu uns, den Zuschauenden, Kontakt aufgenommen. Das Stück beginnt mit berlintypischen Technobeats bei pulsierend-grellen Lichtblitzen, die im Wechsel verschiedene Partien der Bühne ausleuchten. Dann stoppt die Musik, und das Geräusch eines Printers füllt den Saal. Piasente-Szymański zieht den Vorhang auf und holt uns zurück in die Gegenwart. In seinen einführenden Worten mahnt er, dass die meisten Anwesenden im Publikum vermutlich ganz zufrieden mit ihrem Leben sind, sich sicher fühlen, wenn sie hier, im geschützt im warmen Saal Kunst genießen, während draußen in der Welt viele für eine Realität kämpfen, die ihnen genau diese Möglichkeit bietet.

Piasente-Szymański sitzt auf einem Stuhl und starrt uns an. Schweigend, während der Drucker geräuschvoll weitere Seiten mit Zeichen füllt. Dann stoppt die Maschine, die Endlospapierschlange wird zur Seite gelegt und die Performance wendet sich unerwartet und überraschend. „Culture vultures“ nennt der Künstler uns. Kulturgeier, wörtlich übersetzt. Dann schwenkt er um, spricht herzlicher und erklärt, dass er nur unwillig hier sei, und dass sein Stück eher Sabotage sein möchte als der Versuch, eine gelungene Arbeit auf die Bühne zu bringen.

Das Solo wird von diversen „Pausen“ unterbrochen. Angekündigt werden diese durch einen Wecker auf der Bühne, der nach einer bestimmten Zeit Signal gibt und Piasente-Szymański immer wieder mitten im Satz unterbricht. Nach jeder „Störung“ führt er seine Überlegungen zum Thema Kultur versus Diskurs fort. Zustimmendes Murmeln, während er reflektiert, dass das System genau darauf ausgelegt ist, uns das Gefühl zu geben, „sicher und gemütlich im Warmen“ zu sitzen. Er betont, dass die meisten auf den Straßen Demonstrierenden Immigrant*innen sind, wie ich selbst und gewiss einige andere im Publikum. Wir müssen weiter Eintreten für das, woran wir  glauben, und die Stimme erheben gegen verlogene politische Narrative und Propaganda.

Irgendwann ist mir nicht mehr klar, welcher Teil des Abends „Performance“ ist und welcher „Sabotage“. In einer der kleinen Unterbrechungen singt Piasente-Szymański Frank Sinatras „My funny Valentine.“ Ich verstehe das als Kommentar zur Tatsache, dass Immigrierende wie Kunstschaffende zwar symbolisch wertvoll sind, das System uns gleichwohl verwehrt, den Blick auf seine moralischen Schwächen zu lenken. In einer anderen Kurzpause tanzt er mit Hilfe zweier Krücken. Fasziniert beobachte ich, wie er diese nutzt, um das Gleichgewicht zu halten. Er spielt mit seinem Körpergewicht und nutzt die Gehhilfen als Verlängerung der eigenen Gliedmaße, beispielsweise, wenn er einen flügelschlagenden Vogel imitiert. Auch Vögel haben einen hohen Symbolwert, und ich frage mich, was er in diesem Moment wohl fühlt.

Ganz generell fühle ich mich durch Piasente-Szymańskis Fragen zurückgeworfen auf meine Überlegungen zu unseren Perspektiven: Welche Arbeiten sollen wir schaffen, welche Projekte entwickeln, in einer Zeit, in der so viele Menschen leiden? Nützen die Reflektionen in unseren Werke tatsächlich irgendjemandem? Oder sind sie kontraproduktiv? Dürfen wir protestieren und gleichzeitig unsere Sehnsucht nach dem „Warmen und Trockenen“ pflegen? Alex Piasente-Szymański fordert uns auf, unsere Erwartungen zu senken. Gleichzeitig erwartet er in einer Stunde viel von uns. Ich kann nur für mich sprechen, aber manchmal ist das alles etwas überwältigend. Und so sage ich mir, dass eine Pause durchaus passt, damit wir weiter kämpfen können.

Übersetzung aus dem Englischen: Lilian Astrid Geese


In Recess von Alex Piasente-Szymański feierte am 20. Februar 2025 Premiere in der Tanzfabrik.