Frozen Power, eine Produktion des tansanischen Künstlers Ian Mwaisunga, thematisiert die Machtkämpfe des heutigen Tansanias während der deutschen Kolonialherrschaft. Die Premiere fand am 5. Dezember 2024 im Humboldt Forum in Berlin statt, wo das Stück bis zum 8. Dezember zu sehen war.
Ulonzi Almasi tanzt, den Kaffeebecher hin und her schwingend, gestisch mit dem eigenen Gewicht spielend. They bewegt sich freudig fließend, und erinnert damit an Dampf, der entweicht. Schließlich stellt Almasi das silberne Gefäß ab und lässt uns wissen, dass they eine Geschichte zu erzählen hat.
Hinten rechts auf der Bühne sitzt Mbwana Mtulia. Der tansanische Bassist zupft die Saiten einer Ganun, während sich zwei weitere Tanzende zu Almasi gesellen. Das Trio präsentiert einen erfrischenden, enorm dynamischen Mix aus afro-modernem Footwork und Akrobatik. Die Becher werden zum Teil der Moves, wenn sich die Tanzenden hier und da ineinander winden und sie tauschen. Irgendwann geht Almasi ab, um einen Hocker zu holen. They stellt ihn ins Scheinwerferlicht, mitten auf die Bühne. Der Hocker ist nicht nur ein Sitzmöbel, verdeutlicht they uns damit: Er ist ein Thron.
Objekte bergen Energie und wenn diese einen Zweck erfüllt, erwirbt sie Macht. Diese bleibt, selbst wenn das Objekt den Menschen geraubt wird, die einst seine Bedeutung bestimmten. Zahllose cultural belongings[1] aus kolonialisierten Ländern stehen in den Schaukästen der Museen, wo sie der Erbauung der Kolonisator*innen dienen. Zur Normalität dieser Situation hat auch das Ethnologische Museum, dessen Sammlung im Humboldt Forum zu sehen ist, beigetragen. Doch die Herkunft der gezeigten Objekte bleibt häufig im Dunkeln. Sie werden aus ihrem Zusammenhang gerissen, ihre Geschichte wird neu geschrieben oder für immer gelöscht. Aktuell befinden sich über 10.000 Artefakte aus Tansania in Berlin, „erworben“ während der deutschen Kolonialzeit (1884 bis 1918/19). Sie bergen ungemein viel Historie, die nur von den Menschen aus Tansania selbst wirklich wiedergegeben werden kann. Frozen Power, eine Choreografie von Ian Mwaisunga, will einige dieser Erzählungen nachempfinden, insbesondere die Geschichten vom Widerstand der Frauen aus Singida gegen die Kolonialherrschaft der Deutschen.
©Jimmy Ngenzi
Nach der Performance des Trios begegnen wir der Königin, portraitiert von Teddy Mtuta. They betritt die Bühne in einem schwarzen Kleid mit pinkfarbenem Federkragen. Ein*e ähnlich gekleidete*r Künstler*in erscheint. Beide bewegen sich im Gleichklang zur Bühnenmitte, das Scheinwerferlicht wechselt auf Rot, vielleicht, um die Kraft der Queen zu unterstreichen, oder als Hinweis auf die unausweichliche Gewalt in der Zukunft. Die Königin besteigt den Thron, mit stolz geschwellter Brust. Ein dynamisches Quintett folgt, die eigene Musik betont die Jazzelemente in der bereits ertönenden Liveklänge. Nach einem Moment der Ruhe geht Mtuta ab. Die übrigen Performenden verharren verzaubert vor dem Thron, gebannt durch seine Macht.
Die Königin kehrt zurück, mit wilden, hektischen Bewegungen. They weiß, dass ihre Macht bedroht ist. Die Performenden spielen eine scheinbar tödliche „Reise nach Jerusalem“. Die Queen verliert.
Der Thron auf der Bühne bleibt nicht lange verwaist. Rasch beansprucht ihn jemand anderes. Ein leuchtend roter Kreis markiert den Boden um diese Person, als stünde sie in einer Blutlache. Die Energie des so brutal geraubten bleibt. Obwohl die Königin nicht länger da ist, schwebt ihre Mühe im Raum. Viele Geschichten werden über einer Tasse Kaffee geteilt. Manche sind wahr, andere erfunden. Doch wer die Wahrheit kennt, sehnt sich nach der Rückgabe der eigenen „belongings“, Geschichte und Kraft. Übersetzung aus dem Englischen: Lilian Astrid Geese
1Im Rahmen der aktuellen Tansania-Ausstellung im Humboldt Forum verständigten sich die Kurator*innen darauf, nicht mehr von „Objekten“ oder „Artefakten“ zu sprechen, sondern von „cultural belongings“. Allerdings war ihre Erwähnung für die Aussage der Autorin unerlässlich.
Frozen Power von Ian Mwaisunga (Muda Africa) wurde vom 5. bis 8. Dezember 2024 im Humboldt Forum in Berlin präsentiert.