A Midsummer Night’s Dream, Edward Clug ©Yan Revazov

Wenn der Körper scheint

Ein Sommernachtstraum, inszeniert und choreografiert von Edward Clug, präsentiert vom Staatsballett Berlin, feierte Premiere am 21. Februar 2025 in der Deutschen Oper Berlin.

Corps de ballet wörtlich aus dem Französischen ins Deutsche übertragen heißt Körper des Tanzes. Wikipedia beschreibt es als „ein Ensemble von Tänzer*innen“, das für die Solist*innen „chorische Aufgaben erfüllt.“ Sie sind nicht das Gesicht – der Star –, sondern die Physis der Kompagnie. In Jérôme Bels Stück Veronique Doisneau (2004) sagt die 41-jährige Corps-de-Ballet-Tänzerin der Pariser Oper, dass sie weder talentiert noch körperlich stark genug war, um ein Star zu werden. Ihr Geständnis: Wenn das Corps de Ballet „zum menschlichen Dekor [wird], vor dem die Solist*innen brillieren“ fühlt sie sich so schrecklich, dass sie „schreien oder sogar die Bühne verlassen“ möchte.

In Ein Sommernachtstraum, der am heutigen Abend eingerichtet und choreografiert von Edward Clug zur Musik von Milko Lazar präsentiert vom Staatsballett Berlin in der Deutschen Oper welturaufgeführt wird, sehe ich jede*n Tänzer*in des Corps aus der Nähe, während sie hintereinander auf der vorgezogenen Vorbühne um den Orchestergraben laufen. Dieser Bühnenvorbau befindet sich so nah beim Publikum, dass die in der ersten Reihe Sitzenden die Künstler*innen berühren könnten. Mein Platz ist in der vierten Reihe, und ich sehe auch dort ihre Bewegungen und höre sie atmen.

Bei ihrer ersten Performance dieses „Marsches“ tragen die circa 30 Tänzer*innen des Corps de Ballet die gleichen (von Leo Kulaš entworfenen) Kostüme und Masken, die ihre Gesichter komplett bedecken. Ihr Dress erinnert an ein Blatt mit fein ziselierten Adern in unterschiedlichen Schattierungen von Grün. Ihre Hände ranken sich in skulptierten Blättern. Ihre Füße und Knöchel tragen rote Akzente. Die Tanzenden formen eine Blättermasse, bilden einen Zauberwald, der verspielt und überraschend lebendig wird. Wenn sie nebeneinander stehen und eine halbhohe Front développé als Kanon vollführen, ist es, als würde der Wind durch die Bäume fegen. Fasziniert sehe ich sie auf dem Boden liegen und mit den Beinen in der Luft schlichte Choreografien tanzen. Dann fallen ihre Beine im dramatischen Gleichklang zurück auf den Boden. Ich bin derart hingerissen von diesem kollektiven Tanz, dass die Soli und Duette neben dem Chor quasi bedeutungslos werden.

Beim zweiten „Marsch“ des Corps de Ballet ganz nah am Publikum sind die Gesichter der Tänzer*innen nicht mehr verhüllt. Sie tragen die gleichen beigefarbenen, transparenten Tops und halten einen Eimer in jeder Hand.  Sie gehen vorbei und ich sehe ihre jungen Gesichter. Sie zaubern eine wunderbare Szene auf die Bühne, mein Lieblingsmoment in dieser Inszenierung. Sie schwingen die Eimer vor und zurück, immer weiter und weiter, zum Klang der Kirchenglocken. Der Sound der durch die Luft fliegenden Metalleimer in Kombination mit dem Bild des Eimerschwingens evoziert die Idee endlos vieler läutender Kirchenglocken. Dies ist die letzte Szene der Hochzeit von Theseus und Hippolyta. Ein extravagantes Grand Finale der Liebe und Harmonie, präsentiert in minimal-ästhetischer Schönheit.

Als die bald Vermählten auf die Bühne kommen, erscheint auch das Corps de Ballet, nun ohne Eimer. Sie tanzen dynamisch und unisono, alle strahlend lächelnd, während das Paar mit ausgestreckten Armen auf einem mächtigen Felsen steht. Jede*r Tänzer*in im Corps leuchtet wie ein Stern am Sommernachtshimmel, wo Liebende und Zauberfeen träumen.

Übersetzung aus dem Englischen: Lilian Astrid Geese


Ein Sommernachtstraum von Edward Clug, präsentiert vom Staatsballett Berlin, feierte Premiere am 21. Februar 2025 in der Deutschen Oper Berlin.