„Alter Hase – Ein Ballett für fünf Ehemalige“, Lajos Talamonti ©Paula Reissig

Und wie soll es dann weitergehen?

In dem Stück „Alter Hase – Ein Ballett für fünf Ehemalige“ inszeniert Lajos Talamonti am 4. November 2021 seinen Bühnenabschied im Festsaal der Sophiensæle und beschließt damit auch das Performancefestival Coming of Age, welches sich seit Mitte September verschiedenen Facetten des Alterns widmete.

Vier Begleiter*innen hat Lajos Talamonti eingeladen, um mit ihm die performative Erinnerungsarbeit seines künstlerischen Lebenswegs auf die Bühne zu bringen. Mit Martin Clausen steht ihm zunächst ein Berliner Performance-Kollege aus seiner jüngeren Vergangenheit zur Seite. Als ehemalige Mitglieder des Bayerischen Staatsballetts studierten Christine Bombosch und Marc Geifes Ende der 80er Jahre gemeinsam mit Talamonti an der Heinz-Bosl-Stiftung in München und entsprechend verbindet die drei eine gemeinsame Ausbildungszeit. Brit Rodemund kommt von der Staatlichen Ballettschule Berlin und tanzte als Solistin unter anderem an der Deutschen Staatsoper und dem Aalto-Theater in Essen. Sie ist weiterhin als Tänzerin sowie Lehrerin aktiv und übernimmt in dem einstündigen Stück des „Alten Hasen“ immer wieder überzeugend die Rolle einer Ballettlehrerin. 

So beginnt das Stück mit einer klassischen Ballettklasse an der Stange, in der die drei Münchner Auszubildenden in ihre Jugendtage zurückversetzt werden. Die zwei langen Ballettstangen zentral im Raum sowie der weiße Tanzboden und zwei große Spiegel im Hintergrund schaffen einen unverkennbaren Ort der Balletttradition. Auch die engen Strumpfhosen sowie die nicht wirklich gut sitzenden Ballettschläppchen der Tänzer*innen erinnern an das Gefühl, als junger Mensch nicht wirklich, oder nur noch nicht gut genug, in diese historische Struktur der Normen reinzupassen. Als Lehrerin macht Brit Rodemund verschiedene klassische Bewegungsabfolgen an der Stange vor und wird von der eingespielten Klaviermusik würdevoll begleitet. Mit freundlicher, aber auch strenger, erwartungsvoller Haltung bewertet und korrigiert sie die Schüler*innen und Lajos Talamonti, immer wieder über sich selbst und die Situation schmunzelnd, kommt dabei nicht allzu gut weg. 

In den darauffolgenden Szenen erfahren wir mehr über die aktuellen Berufe der ehemaligen Tänzer*innen, indem sie Teile ihres jetzigen berufspraktischen Alltags direkt an Talamonti demonstrieren. Marc Geifes beispielsweise, mittlerweile Physiotherapeut, attestiert Talamonti nach verschiedenen Mobilitäts- und Beweglichkeitstests, dass er mit diesen körperlichen Voraussetzungen durchaus Tänzer werden könnte. Es entspinnt sich eine gewisse Chronologie, die das Besuchen verschiedener Lebensetappen von Talamonti als Narrativ ins Zentrum der Arbeit stellt. Wenn Christine Bombosch ihn dann im Gespräch nach seiner Ausbildungszeit in München fragt, tut sie das eben nicht als ehemalige Mitschülerin, sondern in ihrer heutigen Funktion und realen Rolle der Sozialarbeiterin. Anekdotenhaft bekommen wir Einblicke in die Herausforderungen und Ernüchterungen der klassischen Ballettausbildung, wenn Talamonti beispielsweise sagt, dass es einmal im Monat durchaus Erfolgserlebnisse gegeben hätte und er eben gut Springen konnte. 

Das Normative des Balletts und dessen Zeitgemäßheit wird im Verlauf des Abends an verschiedenen Stellen in Frage gestellt und unter den Anwesenden in wechselnden Rollen diskutiert. Die tradierte Idee beispielsweise, dass ideale Tänzer*innen eine Reinheit mitbringen und wie ein weißes Blatt Papier sein sollten, auf dem die choreografische Handschrift eines Anderen in all ihren Farben zur Geltung kommen könne, stößt unter den Ehemaligen zu Recht Fragen der Individualität an, wie sie sich auch in der Ballettwelt selbst in den letzten Jahrzehnten gestellt worden sind. Ob die etablierten Techniken als Werkzeug und Grundlage den Tanzenden dienen oder deren Persönlichkeiten nivellieren, kann aufgrund der Komplexität dieser Debatte nicht abschließend beantwortet werden. Vor allem mit Blick auf Ausbildungsstätten sind solche Fragen aber immer noch relevant.

Dass das Thema des Abends – das Älterwerden innerhalb des professionellen Bühnentanzes – eigentlich sehr politisch und relevant ist, geht ob der Zentralisierung der persönlichen Geschichte Talamontis und der Inszenierungsstruktur ein bisschen unter. So schafft das Stück die Übertragung auf größere Ebenen nicht. Tanzgeschichtliche Bewegungszitate von William Forsythe über den sterbenden Schwan bis hin zu Gruppenchoreografien zum legendären Flashdance-Song „What a Feeling“ prägen die als Gala konzipierte Arbeit und verdeutlichen, dass der Blick zurück vor allem von Ambivalenz gefärbt ist. Der „Alte Hase“ wirkt hin und her gerissen zwischen einem distanzierten, kritischen Blick auf das System der klassischen Berufstänzer*innen und dem nostalgischen Schwelgen in Erinnerungen mit ehemaligen Weggefährt*innen. 


„Alter Hase – Ein Ballett für fünf Ehemalige“ von Lajos Talamonti ist noch bis zum 7. November 2021 in den Sophiensælen im Rahmen des Festivals Coming of Age zu sehen.