Traurige Happy Hour 

Unter der Regie und Choreografie von Tomi Paasonen feierte Happy Hour am 25. Mai 2025 im Dock 11 Premiere. In einem Mix aus Ballett, Contemporary Dance und Drag reflektiert Queer Church of Ballet die Idee vom Glück. 


Happy Hour – und drei Begriffe kommen mir in den Sinn:
SCHMERZ: Ich leide in der Welt.
EIGENINITIATIVE: Marginalisierte erleben Glück oft nur als einen vergänglichen Moment, den sie für sich selbst schaffen. 
ÜBERLEBEN: Glück wächst nicht (quasi) natürlich, sondern entsteht als aktive Praxis, geschaffen vom eigenen Herz und Körper. Diese Praxis nennen wir Überleben.

Laut Programmheft reflektieren Choreograf Tomi Paasonen und die fünf Performer*innen seines Ensembles Queer Church of Ballet in der Happy Hour „ihre Beziehung zum Glücklichsein“. Mir offenbart sich im Stück jedoch versuchtes Glück, die Enttäuschung, wenn sie scheitern und die schmerzhafte Erinnerung an die Hindernisse, die dem Glück im Wege standen. 

EIGENINITIATVE: Im ersten Teil tanzen Joel Small/Reflektra, Ted Littlemore/Mila Dramatic, George N Rose/Lola Rose und GodXXX Noirphiles mit welken, sehr zart wirkenden Flügeln, die jeden Moment zu brechen scheinen. Ihre Moves sind eine Kombination aus klassischem Ballett und zeitgenössischem Tanz, hier und da punktiert von exzessiver Mimik und lippensynchroner Begleitung der durchgehend erklingenden Musik in diversen Genres, von Oper bis Pop. Der Tanz endet, die Performer*innen gehen ab. Nancy Nutter erzählt ihre Geschichte mit Drag. Als Heranwachsende konfrontiert mit Genderdysphorie und Körperdistanz war die Begegnung mit Drag ihr Schritt in ein völlig neues Leben. Das Kind, das sich einst unterm Bett versteckte, aus Angst, in den Kleidern ihrer Schwester erwischt zu werden, spürte als Erwachsene endlich die Power des*der kleidtragenden Kunstschaffenden auf der Bühne, dem*der das Publikum applaudiert. 

Die Performer*innen als Engel im ersten Teil der Show – eine Assoziation, die Nutters Live-Coverversion des Eurythmics-Songs „There Must Be an Angel“ weckt – verwandeln sich im zweiten Akt in gefallene Engel.

SCHMERZ: Fünf Performer*innen mit Hautspangen, die ihre Wangen- und Lippen spreizen: Sie   wirken delirant. Sie sabbern. Ich beobachte sie bei ihren Moves: Sie erinnern an Sex, an Dehnübungen, Bauchmuskeltraining, Golfspielen, das Gesicht ständig verzerrt. Mir scheint, hier jagen Menschen der Idee vom Glück nach, obwohl sie sich tatsächlich elend fühlen. Irgendwann verlassen alle außer Rose die Bühne. Rose nimmt die Wangenspange ab und tanzt zu Nat King Coles „Smile“. Dabei zieht Rose die Wangen mit den Fingern auseinander und imitiert mit dieser Geste sowohl die von den Retraktoren produzierten Grimassen als auch ein gezwungenes Lächeln.

Auf Roses Solo folgt der Auftritt von GodXXX Noirphiles. Auch GodXXX Noirphiles erzählt eine persönliche Geschichte: in Armut lebende Familie, alleinerziehende Mutter, „Erfolge“ als Künstler*in. Doch am Ende scheiterte die lukrative Karriere des*der als „zu dunkelhäutig“ und „zu dick“ objektivierten Performer*in. GodXXX Noirphiles ging fort, um die eigenen Flügel nicht völlig zu verlieren, und fügt hinzu, dass da letztendlich nur der Wunsch ist, doch noch von einem Sinn aufgefangen zu werden.

ÜBERLEBEN: Die knapp zweistündige Performance – einschließlich 15 Minuten Pause – mündet in ein nicht enden wollendes, mühsames Gespräch der Performer*innen. Sie wirken verlegen, doch dies ist eindeutig beabsichtigt; langes Schweigen, künstliches Lachen, Blick aufs Handy. Offenbar sollen wir sie als Menschen erkennen, die versuchen, in ihrem Zusammensein einfach glücklich zu erscheinen, auch wenn das alles andere als einfach ist. In der Schlussszene sehen wir sie, gemeinsam Weißbrot toasten und zusammen essen.  

Übersetzung aus dem Englischen: Lilian Astrid Geese


Happy Hour von Tomi Paasonen feierte am 25. Mai 2025 im DOCK 11 Premiere.