Die 18. Ausgabe von POOL – MOVEMENT ART FILM Festival Berlin, 16. bis 19. Oktober 2024 im DOCK 11, präsentierte eine Hommage an die Intermedia-Ikone Phill Niblock und drei Abende mit neun kurzen Tanzfilmen von internationalen Filmkunstschaffenden.
Im Januar dieses Jahres starb Phill Niblock. Er wurde neunzig Jahre alt. Die aktuelle Edition von POOL SHINE – NEW YORK TRACES feierte ihn einen Abend lang mit sechs seiner Kurzfilmeproduktionen. Seit 2016 kuratiert Sarah Möller, Künstlerische Ko-Leiterin von POOL, Filme aus der experimentellen Tanz- und Kinoszene der 1960er bis 1980er in New York. Unter dem Banner POOL SHINE laufen sie als eigene Programmreihe im internationalen Fokus des Festivals. POOL SHINE transportiert den Spirit einer Ära kollaborativer und interdisziplinärer Explorationen, die nicht zuletzt von Niblocks Arbeiten geprägt wurde. Frühere Ausgaben von POOL zeigten Filme von Elaine Summers und Yoshiko Chuma. Beide sind auch in diesem Jahr wieder dabei, u.a. mit der von Summers und Niblock realisierten Koproduktion WALKING DANCE FOR ANY NUMBER (1969) sowie einem Workshop mit Chuma zum Verhältnis von Bewegung, Wahrnehmung und Kamera, eine Chronik der gegenseitigen Befruchtung von Tanz, Musik und Film. POOL SHINE folgt mit dem Programm zu dieser spezifischen künstlerischen Geschichte New Yorks dem originär Berliner Narrativ vom steten Wandel im internationalen, interdisziplinären Kreativhub.
Als ewige Ikone der unabhängigen Tanzszene der Stadt schlüpft DOCK 11 in die Rolle des privaten Festivalkinos, erfüllt vom schöpferischen Vermächtnis der Vergangenheit. Das Echo der 1990er Jahre, der Ära der boomenden Kunstszene nach der deutschen Vereinigung, klingt dort noch heute nach. In diesem Kontext findet Niblocks Werk ein lokales Echo und verbindet die Geschichte des experimentellen Tanzes in Berlin mit dem künstlerischen Milieu von ‚Downtown‘ New York. Die New Yorker Zeit, eine Periode massiver gesellschaftspolitischer Umbrüche, war gekennzeichnet durch kreative und finanzielle Freiheit, die innovative künstlerische Initiativen möglich machte. Niblocks Produktionen verkörpern das Schlichte und die Intensität eines Prozesses, der die non-kommerzielle Ethik jener Phase widerspiegelt und sich frei macht vom marktabhängigen Druck, der die Kunstwelt unserer Gegenwart so unerbittlich bestimmt. In der Auseinandersetzung mit Niblocks und anderen Archiven offenbaren diese Kräfte heute eine paradoxe Widersprüchlichkeit.
Terrace of Unintelligibility (1988), ein spannendes Gemeinschaftsprojekt von Niblock und dem Musiker Arthur Russell, berührt mich ungemein. Der 20-Minuten-Film verweilt auf einer Nahaufnahme von Russells Mund. Dann reist der Kamerablick weiter, das Cello entlang, bis zu seiner perkussiven, den Bogen schwingenden Hand, und zurück zu seinen Lippen, während er Answers Me singt. Wir sehen seine Silhouette, scherenschnittartig und durch schillerndes Farbenspiel vor einem transparenten Hintergrund gebrochen. In diesem einfachen Rahmen verschmelzen Russells eindringliche Stimme und Niblocks Filmaufnahmen. Es bleibt ein nachhaltiger Eindruck von der mitreißenden Präsenz des verstorbenen Künstlers und seiner enormen Bedeutung für künstlerische Communities und ihre kreative Praxis.
Still aus Terrace of Unintelligibility (1985) von Phill Niblock mit Arthur Russell
Ich plaudere mit meiner Freundin Carmen Sibha-Keiso, einst Assistentin und Vertraute von Niblock, und seiner Partnerin Katherine Liberovskaya, enge Mitarbeiterin Niblocks in den vergangenen zwanzig Jahren und selbst erfolgreiche Intermedia-Künstlerin. Sie kümmerte sich in seinen letzten Lebensjahren um das Archiv. Carmen spricht über die Schwierigkeiten, ein Intermedia-Archiv zu verwalten, in dem sich physisch Vergängliches findet, wie Filmrollen, Tonbänder, Projektoren und eine große Menge digitaler Dateien. „Spannend war die Suche nach einer passenden Systematik für die Sammlung: Sollten wir das Archiv nach Medien sortieren oder nach Nachfrage? Müsste es als komplette Einheit, als ein Ganzes erhalten werden? Die Frage stellte sich umso dringlicher, als Niblocks frühere Arbeiten für Institutionen potenziell interessanter sind, da sie sich, in Kombination mit seiner eher häuslichen oder experimentellen Produktionen, bekannten Sujets widmen: Duke Ellington, The Merce Cunningham Company, Sun Ra, Arthur Russell und Hannah Weiner.“
Für Niblock war Kunst eher Austausch als Ware. „Niblock wollte, dass seine Arbeiten zirkulieren. Wie sie vertrieben wurden, interessierte ihn nicht,“ erläutert Carmen. „Ihm war wichtig, dass Bild- und Tonqualität gewahrt blieben, dass das Werk der Originalkomposition treu blieb.“ Sie erinnert mich daran, dass sich eine solche Philosophie angesichts der veränderten Bedingungen auf dem Kunst- und Immobilienmarkt natürlich schwerer durchhalten lässt, da es immer weniger Zugang zu Räumen und Räumlichkeiten gibt.
Mit Blick auf den sich wandelnden Kontext teilte Carmen Sibha-Keiso ihre Überlegungen zur künstlerischen Landschaft New Yorks im Laufe der Jahrzehnte. Bezahlbare Räume und eine eng verbundene Community „downtown“ garantierten früher den Fortbestand des kreativen Kerns der Stadt. Gestiegene Immobilienpreise machen es experimentellen Kunstschaffenden, insbesondere den Älteren von ihnen, heute schwer, ihre Werke zu realisieren. Die Archivierung von Niblocks Projekten versteht Carmen als Konservierung seines schöpferischen Vermächtnisses in Anbetracht der sozioökonomischen Veränderungen, die das Überleben der Kulturszene bedrohen. „Seit Phills Tod hat die Inflation in der Immobilienbranche Wohnraum für Katherine zu einem prekären Gut werden lassen. Experimentellen Communities fördern ihr Vermächtnis nicht zuletzt durch gegenseitige Unterstützung, die wir als eine Art freie Arbeit, soziale Arbeit betrachten können. Diese fällt in einem neoliberalen Ambiente zunehmend schwerer. Alter und Behinderung sind weitere Faktoren.“
Diese Überblendung von Raum, Zeit und Praxis verleiht Niblocks Werk in der dynamischen und komplexen Welt der Gegenwart Permanenz und Resonanz. Durch Initiativen wie POOL SHINE und das künstlerische Schaffen Liberovskayas bleiben seine Filme lebendig. Nach dem Screening sprach sie über die Fortschreibung und Präsentation der gemeinsamen Arbeiten Koproduktionen nach dem Tod ihres kreativen Partners.
POOL SHINE ist Aufforderung zur Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten einer Förderung experimenteller Kunst. Niblocks Community spiegelte sich im Theater, in der Fusion verschiedener Geschichten und Figuren, als ständige Erinnerung, dass Offenheit, Kooperation und Widerstand gegen den Druck des Marktes in den fragilen Ökosystemen, aus denen sich unsere Arbeit speist, heute ebenso wichtig sind wie in der Vergangenheit.
Übersetzung aus dem Englischen: Lilian Astrid Geese
POOL – MOVEMENT ART FILM Festival Berlin 2024 fand vom 16. bis 19. Oktober 2024 im DOCK11 statt.