Last Dance | And for the time being von Ian Kaler und Stéphane Peeps Moun (19. – 21. Juli 2024, Uferstudio 14) kombiniert zwei Soli: Körperbewegungen formen die Zeit, Wort und Tanz interagieren als Stoff der Inszenierung und generieren subtile Beziehungen zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Subjekten.
Zwei Soli, im Titel grafisch getrennt und symbolisch verbunden durch eine Pfeife, arrangiert im gleichen Bühnenbild: eine ausladend quadratische, schräge schwarze Rampe, ein mit Steinen durchsetztes Sandbett und eine große Projektion an der Rückwand. Gekleidet in eine dicke Hose und ein hautenges Sport-Top eröffnet Ian Kaler die Vorstellung mit And for the time being, ein Stück komponiert aus dem physischen Vokabular einer fließenden Bewegung, die seinen Körper durchzuckt und ihn langsam in Auf- und Abwärtsbewegung, über den Boden und ein schräges Brett, durch den Sand und über die Steine führt. Kalers geschmeidige, kompakte, arhythmische Körpersprache wird quasi untertitelt mit einer auf den Screen auf der Bühne projizierten poetischen Erzählung von der Begegnung eines Mannes mit einem Pferd. Hier ein Auszug:
Er reitet durch den Forst in gleichmäßig gemäßigtem Trott. Ein Tempo, das er selbst bestimmt, eins, das er nicht verwirkt. Zunächst nervös, nun jedoch in der Sicherheit, die ihn umfängt, die er nie sah und die er gleichwohl spürt.
Kaler tanzt sein Solo fast ausschließlich auf der linken Bühnenseite. Der exquisite Text ist rechts oben lesbar. Beides gleichzeitig zu sehen ist unmöglich. Mein Blick fängt immer nur das eine. Das andere bleibt „unsichtbar präsent“. Bewusst beobachte ich das detailreiche, handwerklich saubere, perfekte Tanzen, das ohne überflüssige Regung effizient-cool Affekt vermittelt. Bewusst verzichte ich zunächst auf die Lektüre des projizierten Narrativs. Dann lenke ich nach einigen Minuten meinen Blick auf das geschriebene Wort. Beide Momente wirken in hypnotischer Gegenseitigkeit. Ich nehme einen „endlos wie ein Baum wachsenden“ Korpus wahr. Das Bild des grazil und sinnlich tanzenden Performers assoziiere ich automatisch mit der kontinuierlich durchlaufenden Prosa.
©Dieter Hartwig
Synthesizer und Drum Samples prägen die Klanglandschaft mit gnadenlosen Beats. Ich erlebe sie als Homogenisierung: In meiner Vorstellung mixt sich die Performance mit einigen der zahlreichen zeitgenössischen Berliner Tanzproduktionen aus dem letzten Jahrzehnt, die von Club-Ästhetik inspiriert das Spezifische der kompetenten Körperarbeit Kalers ebenso wie seine faszinierende Präsenz krass verflachen.
Erstgenannt im Titel, doch präsentiert als zweiter Akt der Show, folgt Last Dance, eine Inszenierung von Kalers langjährigem Freund und Kooperationspartner Stéphane Peeps Moun. Eine Verwechslung des ersten und letzten Teils der Vorstellung wird suggeriert, doch sie ist beabsichtigt. Auch Mouns Tanz begleiten Textprojektionen: Auf dem Screen verfolgen wir ein Gespräch zwischen dem Künstler und seiner Mutter auf Lemandais und in französischer Sprache. Doch Peeps zieht mit seinen Moves weitere Schichten in den Text. Immer wieder performt er ultradynamische Spurts im Stil einer Hip-Hop-Show, um dann das Tempo seiner Bewegung auf einen langsameren Takt zurückzufahren. In diesen subtileren Phasen wird der verschriftlichte Dialog erkennbar, und mit ihm der Sound. Ich sehe beides, habe beides im Blick, nehme beides wahr, auch in der Komplementarität der Aktion. Kaler und Peeps teilen eine Klanglandschaft, die im Last Dance transformiert und bereichert wird, Pianoklänge und Jazzrhythmen zulässt und sich in lebendigere Fantasien fortschreibt. Nach dem Applaus für beide Soli performt Drummer Anatole Serret als Special Guest ein Drumset. Kaler und Peeps jammen. Sie tanzen, lächeln sich an, lächeln ins Publikum, das sich – befreit von der Präzision choreografierter Partituren – der ungezügelten Freiheit des Gesellschaftstanzes hingibt. Peeps Titel verweist auf die Entscheidung, Last Dance zu seinem letzten Live-Auftritt zu machen. Er widmet ihn seiner Mutter Martine, deren Stimme ich soeben hörte und die ihren Sohn in dieser Produktionzum ersten Mal auf der Bühne sehen wird.Mein Beginn ist dein Finale. Die Performance auf der Bühne endet mit der Rückkehr zum Tanzen mit und füreinander, anderswo und andersartig, vielleicht „ungesehen und doch gewiss gespürt.“
Übersetzung aus dem Englischen: Lilian Astrid Geese
Last Dance | And for the time being von Ian Kaler and Stéphane Peeps Moun wurde vom 19.–21. Juli 2024 in den Uferstudios aufgeführt.