In der Reihe Forum Theatertreffen 1965-2025 gab die Choreografin Carolina Mendonça am 16.5.2025 im Foyer der Berliner Festspiele Einblicke in Something Is Approaching, eine neue Arbeit, die im Juni Premiere feiern wird.
Proteste, laute oder stille, waren und sind noch immer häufig gegen das gerichtet, was als festgefahrene Herrschaft, als Establishment, als Tradition geframed ist. Dabei könnte man inzwischen, wenn man wollte, längst auch einen langen Stammbaum der Gegenbewegungen mit ihren tradierten Narrativen und Bildsprachen malen.
Eine Tradition, in die sich Carolina Mendonças Arbeit einschreiben ließe, ist jene der bei Geburt dem weiblichen Geschlecht zugeordneten Künstler*innen, die in ihrem Schaffen bewusst mit den an sie gerichteten Rollenerwartungen gebrochen haben. Die statt Empathie, Friedfertigkeit, Schönheit und Biegsamkeit mit einem schamlos zur Schau gestelltem Interesse an Macht, mit Kaltblütigkeit, Kalkül und (behaupteter) Gewaltbereitschaft provoziert haben. Shirin Neshat, Valie Export, Marina Abramovic, Niki de Saint Phalle – sie und viele andere prominente girls with guns sind in die Geschichte der Kunst und der feministischen Bewegungen eingegangen.
Das Bild der Künstlerin mit der Waffe in der Hand ist so emblematisch, dass manchen die Waffe auch schon mal nachträglich angehängt wurde.1 Mendonças Arbeit trifft mich in diesem Sinne – obgleich es um Wut, Mordfantasien und zentral um die Praxis des Schießens geht – vielmehr durch die Abwesenheit von Waffen, Gesten der Gewalt oder scharfer Worte. Mit unbewegter Miene, in freundlichem aber kühlem Ton berichtet die Künstlerin von Veränderungen, die sie in sich beobachtet habe: von einer neuen Flüssigkeit, die durch ihren Körper fließe und den Träumen, die sie am hellen Tage mit Mordgelüsten durch die Straßen treiben. Sie erzählt von den Männern, die ihr das Schießen beibringen, die die Kugel niemals abschießen, sondern „nur fliegen lassen“.
Präzision, Meditation, Ruhen im sogenannten „Zentrum“. Das Vokabular beim Tanz- und beim Schießtraining seien sich erstaunlich ähnlich. Während die studierte Choreografin Mendonça berichtet, entkleidet eine zweite Performerin (Anna Fedoronchuk) sie ihres Hemdes und verkabelt sie mit einem portablen Mikrofon. Mendonça ignoriert die bisher stille Figur, wie man nur eine sehr vertraute Person ignorieren kann. Wie man nur Berührungen ignorieren kann, die einen im Grunde nicht berühren, wie man nur ignorieren kann, wenn man nichts zu verlieren und nichts zu gewinnen hat. Bang bang.

©Fabian Schellhorn
Genau diese Emotionslosigkeit ist es, die bei mir ins Schwarze trifft, die mich fesselt, in Momenten verstört und in anderen zum Lachen bringt. Mimik in ihrer reduzierten Form oder gar Abwesenheit, fällt mir auf, spielt dabei eine zentrale Rolle. Der zweite, choreografischere Teil des Showings, in dem die zwei Performerinnen auf allen vieren und mit eingezogenen Köpfen wie gesichtslose Tiere über die weiß eingestaubten Bühnenpodeste ziehen, verliert dementsprechend etwas von meiner Aufmerksamkeit. Hilfreich waren da auch nicht die räumlichen Bedingungen im maßlos überfüllten Festspielfoyer, wo die meisten Zuschauer*innen auf ihren 19-Euro-Plätzen nur wenig bis gar nichts von der Bühne sehen konnten. Schade für uns und für die Künstlerin, deren Arbeit damit nicht gerade optimal präsentiert wurde.
1Seit Jahren kursieren Fotos im Internet, auf denen die Malerin Frida Kahlo mit tiefem Ausschnitt und einer Waffe, die sie mit beiden Händen auf Höhe des Schritts hält, zu sehen ist. Fotos, die eigentlich Fotokollagen sind und, laut Monopol-Magazin, 2021, 67 Jahre nach Kahlos Tod entstanden sind.
Eine Preview von Something Is Approaching von Carolina Mendonça wurde am 16.05.2025 im Rahmen der Reihe Forum Theatertreffen 1965-2025 gezeigt. Die Performance feiert ihre Premiere im Juni 2025 in Kortrijk, Belgien.