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Kürzungen, Diversität und Barrierefreiheit im Berliner Kulturbetrieb – Ein Interview mit Beauftragten von Diversity Arts Culture

Kunst und Kultur soll für alle zugänglich sein. Dafür müssen Barrieren abgebaut und Perspektiven von bisher nicht oder wenig repräsentierten Gruppen in den Kulturbetrieb gebracht werden. Diversity Arts Culture treibt die Diversitätsentwicklung im (Berliner) Kulturbetrieb voran. Die zahlreichen Beratungsangebote, Workshops, Veranstaltungen und Publikationen richten sich an Künstler*innen sowie Institutionen und Kulturtätige.

Im Interview mit Bahareh Sharifi, Nima Ramezani und Roisin Keßler sprechen wir über die Kulturkürzungen und deren Auswirkungen auf die Berliner Kulturszene, ihre Arbeit bezüglich Antidiskriminierung und Barriereabbau. Bahareh Sharifi ist Programmleiterin bei Diversity Arts Culture und begleitet den Aufbau von Sensibilisierungs- und Empowermentprogrammen. Roisin Keßler ist Referentin für Behinderung und Empowerment und entwickelt bedarfsorientierte Workshopformate für Künstler*innen und Kulturtätige mit Behinderung. Nima Ramezani ist Referent für Awareness im Kulturbereich.

Wie steht es um die Diversität im Berliner Kulturbetrieb?

Bahareh: Wenn wir uns anschauen, wie es war, als wir bei Diversity Arts Culture angefangen haben, dann hat es eine Verschiebung gegeben. Es ist viel diverser als vor einem Jahrzehnt. Nichtsdestotrotz ist es so, dass sich sehr viel Diversität und Vielfalt in der freien Szene abbilden, weil diese für marginalisierte Menschen zugänglicher ist. Oft etablieren sich diese in der freien Szene und haben dann erst Zugänge zu den Institutionen.

Roisin: Auf der einen Seite würde ich sagen, ist die Berliner Kulturszene schon sehr divers, besonders im deutschlandweiten Vergleich. Ich würde dennoch sagen, dass Berlin weiterhin vor der Herausforderung steht, den Anforderungen der Diversitätsentwicklung in der Stadt nachzukommen. Wir sehen das an unseren Anfragen, der Bedarf nach Diversitätsentwicklung und Barriereabbau ist sehr hoch.

Welche Auswirkungen haben die Haushaltskürzungen auf eure Aufgabe, die Diversität im Kulturbetrieb voranzutreiben? Was bedeuten die Kürzungen für marginalisierte Künstler*innen und Kulturtätige, Organisationen und Communities?

Nima: Wir sind selbst davon betroffen so wie viele andere, die Community-Arbeit leisten. Das war ein großer Schock, sowohl für uns als auch für die gesamte Berliner Kulturszene. Die Kürzungen wirken sich inhaltlich auf unsere Arbeit aus und auf die Strukturen, die wir durch langjährige Zusammenarbeit mit Kooperationspartner*innen und Communities geschaffen haben. Diese Strukturen sind jetzt sehr gefährdet.

Durch das Kürzen wird ein Kampf um die vorhandenen Ressourcen entstehen. Es besteht die Gefahr, dass viele, die gut miteinander gearbeitet haben, gegeneinander ausgespielt werden. Das hat wiederum negative Auswirkungen für die ganze Szene.

Bahareh: Viele Fördertöpfe werden gekürzt. Das bedeutet, dass diejenigen, die sowieso schlechtere Zugänge haben, es noch schwerer haben werden, sich zu etablieren. Zudem sind Diversitätsentwicklung und Antidiskriminierungsarbeit für die meisten Organisationen noch nicht Standard. Durch die Kürzungen wird es darauf hinauslaufen, dass viele Institutionen Stellen abbauen müssen und dann sind vor allem solche Stellen betroffen, die Diversitäts- und Antidiskriminierungsprozesse verantworten.

Allgemein bemerken wir, dass demokratische Strukturen ausgehöhlt und angegriffen werden. Da ist estotal wichtig, Antidiskriminierungsarbeit und Demokratiearbeit zu stärken und wir stehen vor vielen Fragezeichen, wie das zukünftig möglich sein wird.

Wie zugänglich sind Förderstrukturen für diverse Künstler*innen?

Roisin: Behinderte Menschen haben schon immer das Problem bei Kulturarbeit, dass zusätzliche Barrierefreiheitskosten anfallen und es nur bedingt Fördermöglichkeiten gibt, um diese Kosten zu tragen. Die meisten Antragsverfahren sind überhaupt nicht barrierefrei gestaltet. Sehr viele Antragsformulare selbst sind schon nicht barrierefrei zugänglich, viele Formulare sind z.B. nicht mit Screenreader lesbar, sind nicht in Leichter Sprache verfügbar und wichtige Informationen stehen nicht in Gebärdensprache zur Verfügung.

Hinzu kommt das Dilemma mit Access-Kosten[1]. Diese Kosten sind häufig bei Kulturförderungen nicht vorgesehen. Es gibt auch keine Sondertöpfe, die explizit dafür genutzt werden können. Viele Fonds lassen nur eine bestimmte Summe für Access-Kosten zu, die oftmals vorn und hinten nicht ausreicht. Andere bestimmen, dass die Access-Kosten in das Sachkostenbudget fallen, wo dann wiederum Geld fehlt.

Bahareh: Nur ein Bruchteil des Kulturetats, ca. 5%, geht an die freie Szene. Stipendien und Projektförderungen sind zudem sehr voraussetzungsreich. Dabei sind ein gutes Portfolio, vorherige Förderungen, eine formalisierte künstlerische Ausbildung entscheidend und man muss die richtige Antragslyrik beherrschen. Das sind viele Barrieren für Menschen ohne formalisierte Ausbildung oder für Menschen, deren Erstsprache nicht Deutsch ist. Meistens braucht man auch eine Spielstätte für die Zusammenarbeit. Dafür braucht man Beziehungen.

Hier gibt es ein strukturelles Problem und dafür bräuchte es strukturelle Lösungen. Der Projektfonds Kulturelle Bildung und der Fonds Urbane Praxis haben z.B. einen Fördertopf für mehrfach marginalisierte Gruppierungen, mit Coaching und Prozessbegleitung. Solche Ansätze bräuchte es viel mehr.

Nima: Es mag schwierig sein, zu sagen: ‚Traut euch!‘ – gerade für Künstler*innen, die erst anfangen. Doch es gibt unterstützende Strukturen: Infoveranstaltungen, kostenlose Schulungen, Hilfen zur Antragstellung und Abrechnung – z. B. bei Kreativkultur Berlin, dem Kulturforum oder auf der DAC-Website.

Viele Förderanträge beinhalten Fragen über die Maßnahmen für Barrierefreiheit. Wie siehst du die Umsetzung davon?

Roisin: Die Umsetzung von Barrierefreiheit ist häufig ein nachgeordnetes Kriterium. Also fertige Kunstwerke werden im Nachhinein zugänglich für behinderte Menschen gemacht. Auf der anderen Seite gibt es integrierte Barrierefreiheit. Diese künstlerische Praxis nennt man auch „Aesthetics of Access“  Sie hat zum Ziel, dass Barrierefreiheit von Anfang an in die Kunst integriert wird. Dann entsteht ein künstlerisches Gesamtwerk und Barrierefreiheit selbst bekommt eine künstlerische Qualität.

Sowohl für nachgeordnete als auch für integrierte Barrierefreiheit braucht es zusätzliches Budget für Beratung und Umsetzung. Die erforderliche Höhe des Budgets ist vom Umfang der barrierefreien Maßnahmen und der Expertise im Produktionsteam abhängig.

Die Umsetzung hängt also sowohl von der Höhe der bewilligten Gelder als auch von der Planung und Vorbereitung des Produktionsteams ab.

Die Jury hat maßgeblich damit zu tun, ob Projekte gewisse Qualitätskriterien erfüllen und gefördert werden. Wie steht es um die Diversität von Juroren?

Nima: In Gesprächen mit marginalisierten Projektantragsteller*innen, Communities oder Verbänden, entsteht der Eindruck, dass die Jurys oft zurückhaltend agieren. Nach wie vor spielen bei der Entscheidung sehr konservative Kriterien eine Rolle. Noch nicht so etablierte Künstler*innen mit einer sehr guten, innovativen Idee, bekommen dann eher nicht die Förderung, sondern die erfahreneren Künstler*innen und Gruppen, denen mehr zu getraut wird, auch in Punkto Administration.

Bahareh: Oft sind Jurys international aufgestellt, was erstmal divers erscheint. Wenn man genauer hinschaut, stellt sich aber heraus, dass sie aus einem relativ ähnlichem Milieu kommen und eine homogene Konstellation bilden. Das repräsentiert nicht die gesellschaftliche Diversität. Eher entsteht ein einheitliches Verständnis von künstlerischer Qualität, geprägt von einem europäischen, bildungsbürgerlichen Kanon.

Roisin: Ich denke auch, dass Jurys nicht divers genug besetzt sind. Im Fall Behinderung ist entscheidend, dass häufig keine behinderten Menschen mit Expertise in den Gremien sitzen. Wenn es dort keine ausreichende Schulung gibt, kann nur schwer eingeschätzt werden, welches beantragte Budget verhältnismäßig ist und welche Maßnahmen wichtig sind.


[1] Access wird häufig als Synonym für Barrierefreiheit genutzt. Der Begriff meint Zugänglichkeit, die aber weiter gefasst ist, als reine Barrierefreiheit.


Weiterführende Literatur:

Behinderung im Spielplan https://diversity-arts-culture.berlin/magazin-und-publikationen/publikation-behinderung-im-spielplan

Awareness im Kulturbereich https://diversity-arts-culture.berlin/magazin-und-publikationen/publikation-behinderung-im-spielplan

Kunst kommt von Können? https://diversity-arts-culture.berlin/magazin-und-publikationen/dossier-kunst-kommt-von-koennen