Headline, Leon Locher ©Leon Locher

Körper Arbeit Verstehen

An drei Abenden (12.-13.06.2025) präsentieren sechs Studierende des MA Solo Dance and Authorship (SoDA) am Hochschulübergreifenden Zentrum Tanz ihre laufenden Rechercheprojekte. Zwei dieser Präsentationen reflektiert dieser Artikel.

Wie wirkt die Sprache, mit der wir über ihn sprechen, auf den Körper? Wie folgt sie ihm, wann geht sie ihm voraus? Und was formt sich in jenem Raum zwischen Wort und Zunge, wo sich die physisch erfahrbare Welt und unsere Weisen ihrer Benennung begegnen? Die Recherchepräsentationen im Rahmen des MA SoDA sind beides: mehr oder weniger ausgearbeitete Performances, die die Studierenden vor, mit und am Publikum testen, sowie Momente der Reflexion im laufenden Arbeitsprozess, ein Heraustreten aus dem (Recherche)Körper, ein Beobachten und In-den-Kontext-stellen. Eingefasst von einem rahmenden Statement, geben sie dem Publikum die Möglichkeit, nicht nur zu sehen, was auf der Bühne passiert. Wir erfahren auch, was dem vorangegangen ist, was folgen wird, an welchen Stellen die Recherche gescheitert ist und was wiederum vielleicht nur wider Willen Teil der Arbeit wurde.


Headline, Leon Locher ©Leon Locher


Ganz explizit bezieht sich auf den Zusammenhang zwischen Sprache und gelebter Erfahrung Leon Lochers Präsentation Headline (dt.: Schlagzeile). In einem performativen Experiment überträgt Locher, unterstützt von vier weiteren Akteur*innen, tätig an der Schnittstelle zwischen Kunst und Aktivismus, die kollektive Praxis einer Lese- und Schreibgruppe rund um Heinrich Bölls Roman Die verlorene Ehre der Katharina Blum (1974) in den Bühnenraum. An Katharina Blum, die wegen ihrer Beziehungen zu einem Straftäter von der Presse als „Terroristenbraut“ diffamiert wird, zeichnet die Künstler*innengruppe die Gewalt von Zuschreibung und Sprache nach, die auch heute noch – bzw. wieder – unzähligen Menschen widerfährt, die den herrschenden politischen Diskurs – namentlich in Bezug auf den Krieg in Gaza – durch ihre Körper, Taten und Solidaritätsbekundungen in Frage stellen. Das Setting mit einer Reihe von Tischmikrofonen erinnert an einen modernen Gerichtssaal oder das Studio einer Talksendung. Hier zieht das Rechercheteam Verbindungen zwischen der BRD der 70er Jahre und heute, erfindet Variationen von Bölls Geschichte, lässt Autobiografisches einfließen und stellt Szenen nach, um durch Verkörperung alternative Dialoge zu schaffen. Ein Potenzial, das weiter ausgeschöpft werden könnte, haben meiner Meinung nach insbesondere jene Momente, in denen wir selbst als Publikum, während unsere Reaktionen beobachtet, gefilmt und protokolliert werden, die implizite Bedrohung zu spüren bekommen, die hier verhandelt wird.


Headline, Leon Locher ©Frieda Luk


Was mich zu Jemima Rose Deans Heaux and Harvest führt, einer Präsentation, in der der Blick zwischen der Performerin und ihren Zuschauer*innen als Medium für Kommunikation und Verhandlung eine zentrale Rolle spielt. Das Begriffspaar „heaux“ (pseudo-französisch und Plural von „ho“ für Hure) und „harvest“ (Ernte) markiert zwei Arbeitssektoren, in denen Dean ihr Butterbrot verdient, und spannt zugleich das Feld der Recherche auf: saisonale Erntearbeit und Sexarbeit als Tänzerin in einem Stripclub. Was verbindet diese beiden, auf verschiedene Weise körperlichen Arbeitsformen? Was unterscheidet sie?


Heaux and Harvest, Jemima Rose Dean ©Jemima Rose Dean


Deans Feldrecherche, die an zwei völlig unterschiedlichen Orten stattfand, unter dem freien Himmel Südfrankreichs und in einem nicht weiter benannten Berliner Club, kommt im Studio zusammen. Dabei scheint Dean den zum Teil urkomischen Ansatz zu verfolgen, die Felder möglichst eng miteinander zu verquicken. Auf halsbrecherisch hohen Heels, mit einer Arbeitslatzhose bekleidet, unter der nur eine rote Netzstrumpfhose und ein knappes Bustier hervorblitzen, schiebt sie sich nicht nur auf den Knien über den Boden, um rote Taler zu „ernten“, sondern schleppt auch die sicherlich mehrere Kilo schweren Einzelteile einer Poledancestange und -bühne durch den Raum, an der schließlich das Grand Finale getanzt wird. Während Dean uns, also auch mir, zwischen einer Pose, einem Sich-zeigen, und anderen Aktionen, immer wieder direkt in die Augen blickt, ist ihre Stimme nur indirekt über ein Voice-Over zu hören und kreiert dabei einen Raum, in dem sich für mich viele Fragen stellen: Was kann ein Blick allein sagen – und was nicht? Welche Körper haben die Möglichkeit, für und über sich selbst zu sprechen, welche nicht? Und schließlich: Wo macht der Körper dem, was über ihn gesagt wird, ein Kreuz durch die Rechnung?


Heaux and Harvest, Jemima Rose Dean ©Jemima Rose Dean


Headline von Leon Locher und Heaux and Harvest von Jemima Rose Dean wurden als laufende Rechercheprojekte im Rahmen des MA Solo Dance and Authorship (SoDA) am Hochschulübergreifenden Zentrum Tanz Berlin im Juni 2025 gezeigt.