STUCK, eine Choreografie der Waacking-Ikone Mounia Nassangar, präsentiert am 18. Januar 2025 anlässlich der Eröffnung des Purple Dance Festivals im HAU.
Bin umhüllt vom Dunst des Begehrens der LGBTQ+ Underground Clubs der 1970er Jahre in Los Angeles. In Gedanken. Bin in meiner Fantasie da, wo Waacking einst entstand. Waacking, erfunden von und kreiert für BIPoC-Menschen der working class, die sich in ihrer Begegnung und Gemeinsamkeit schön und stark fühlen wollten. Ein Ort – Hort – der Erholung, des Aufblühens, weit weg von der kapitalistischen, rassistischen, homophoben Gesellschaft, in der sie überleben mussten.
Könnte ich Tiger, Schmetterling, Drache sein…
Irgendwas
Was wäre ich?Ich sehe mich
Ich sehe dich
Du siehst michBegehren
Kaum kann ich den Blick von dir wenden
Jede Bewegung deiner Finger
Will ich mit meiner Zunge umspielenGierig
Wag es nicht
Augenblick
Keine Sekunde
von dir
will ich verpassenLust
Nimm mich
Irgendwo
Egal wo
F*ck mich
Flehe ichFünf wilde, heiße Tanzende performen STUCK—Suzanne Degennaro, Serena Freira, Oumrata Konan, Nicole Kufeld, Carla Parcianello. Sie waacken, ich schaue zu. Komme mir vor wie ein Teenie, die die coolen Kids bewundert.
Sie stehen oben, auf der Vorbühne. Ihre Körper eine einzige Aufforderung: Sieh‘ mich (an)! Kalt blicken sie auf uns, das Publikum, herab; sie nehmen uns ins Visier. Dann taut das Feuer das Eis in ihren Augen. Hitze steigt in mir auf. Die präzisen, ausgefeilten, schnellen Gesten der Hände und Arme der Tänzerinnen wirken – gefangen im gefrorenen Rahmen – fast wie Posen. Doch die Übergänge zwischen ihnen sind fließend, wie Wasser perlend – flott, fluide, nahtlos. Das Publikum jubelt begeistert.
Parcianello tanzt ein Solo. Die übrigen vier Performerinnen sehen ihr zu. Sie bilden einen Kreis, necken sie verspielt. In manchen Momenten kommen sie ihr so nah, dass sie fast ihr Haar berühren. In einer anderen Szene steht Konan dicht vor Parcianello. Sie waackt so schnell, als wollte sie den fight. Konans Gefühle destilliert, purer Extrakt, der plötzlich in ihrem Körper explodiert. Eine ganzkörperliche Erfahrung. Im Duett gleitet Kufelds Träger von der Schulter. Degennaro lächelt und schiebt ihn wie nebenbei zurück. Ich schmelze dahin. In Freiras Solo-Performance eines Black Gospel – „Nicht der Aufpasser gibt mir Sicherheit“ – spüre ich die authentische Power der persönlichen Erfahrung.
Während diese eindringliche Expressivität auf der Bühne in mir nachwirkt, lenkt mich ein anderes, gänzlich reales physisches Erlebnis ab. Als ich ins Theater kam, hatte ich längeren Augenkontakt mit einem großen, weißen Mann in einem schwarzen Anzug. Er trug ein Halstuch mit der Aufschrift POLIZEI. Jetzt entdecke ich, dass er quasi neben mir sitzt, in der gleichen Reihe, nur zwei Plätze entfernt. Zur Eröffnung des Purple Dance Festivals hält Berlins Kultursenator Joe Chialo eine Rede. Er spricht über die aktuellen Haushaltskürzungen der Stadt. Das provoziert Buhrufe im Saal. Derweil murmelt der Polizeibeamte in sein Headset. Mehr lauter Protest zum Ende von Chialos Rede, einige applaudieren. Ich unterdrücke meine eigene Reaktion, denke an die extreme Polizeigewalt in Berlin seit Oktober 2023. Ich bin verstört, frage mich, wie Waacking – ein Tanz der marginalisierten Communities auf der Suche nach Freiheit und uneingeschränktem Selbstausdruck – mit genau den Kräften koexistieren kann, die für diese Unterdrückung stehen, in einem Kontext, der die Reichweite des Polizeistaats noch einmal verstärkt. Chialo wird unter Polizeischutz aus dem Saal geleitet, und ich verlasse das Haus so rasch wie möglich.
Ich sehe dich
Du siehst mich
Ich sehe michÜbersetzung aus dem Englischen: Lilian Astrid Geese
STUCK von Mounia Nassangar wurde am 18. Januar 2025 anlässlich der Eröffnung des Purple Dance Festivals im HAU gezeigt.