Mit dem farbenfrohen Spektakel zu Chirurgie, Pflege und Affirmation MASTEKTOMIE. Ein bittersüßes Abschiedslied, kehrte CHICKS* freies performancekollektiv vom 26. bis 29. September zurück in die Sophiensæle.
Wir nehmen unsere Plätze ein, entweder auf den Tribünen in den Ecken des Saales oder auf den in Reihen gelegten blauen Matten mit roten Decken. Bonbonbunte Tücher und Stapel von Requisiten und Kostümen zieren den Raum. Die Performer*innen werden sie bald zum Leben erwecken. Das Ambiente erinnert mich an die traumähnlich gestalteten, KI-generierten Interieurs, die meinen Instagram-Feed fluten, wenn ich doomscrolle.
Lange Quasten hängen kaskadenartig von den Wänden; in der Mitte ein großes blaues Bett mit ausgefallenen Kissen; ein aufblasbarer Swimmingpool mit fleischartigen Bällen ist Referenz an den Titel der Inszenierung und Brüste.
Bei einer Mastektomie oder „Brust-OP“ wird Brustgewebe entfernt. Der Mainstream hat sie meist als Krebsbehandlung oder Tumorprävention für Cis-Frauen auf dem Schirm. Sie ist jedoch auch eine wichtige geschlechtsanpassende Operation für transmaskuline und nichtbinäre Menschen. In der autobiografischen, musikalischen Erzählung MASTEKTOMIE. Ein bittersüßes Abschiedslied präsentieren CHICKS* Mitglied Marietheres Mio Jesse, Lovis Heuss und Ophelia Sullivan, den medizinischen Eingriff als lebensrettende chirurgische Intervention.
Die Aufführung kommt daher wie eine TV-Kindersendung: verspielt, bunt, gut verständlich. Performt als unbeschwerter Ausflug in eine sehr persönliche Geschichte und zugleich Aufklärung, vermittelt sie uns, dem Publikum, leicht verdauliche Einsichten und Informationen.
Dabei geht es um ein brennend wichtiges Thema. Sowohl die reproduktive Gesundheit als auch die geschlechtsbejahende Versorgung – einschließlich der Mastektomie – wurden lange nicht als bedeutende medizinische Maßnahmen anerkannt. Zudem wird die Gesundheitsversorgung für Transgender derzeit vielerorts massiv demontiert.
Für die CHICKS* Performance steht Barrierefreiheit im Zentrum. Wir erfahren, dass es eine „entspannte Vorstellung“ sein soll, und dass wir Hilfe bekommen, wenn wir uns überfordert fühlen. Warnungen ertönen, bevor sich Licht oder Sound ändern. Unterstützer*innen sind präsent. Wenn das Trio nicht selbst spricht, erläutert eine Live-Audiobeschreibung das Geschehen auf der Bühne. Ich erkenne ein ernsthaftes Bemühen um Integration und Niedrigschwelligkeit und freue mich darüber. Gleichwohl überrascht mich, dass es keine Übersetzung aus dem Deutschen gibt. Untertitel? Fehlanzeige. In Berlin ist es mir grundsätzlich sympathischer, wenn deutsche Muttersprachler*innen ihre Produktionen auf Deutsch präsentieren, anstatt standardmäßig ins Euro-Englische auszuweichen, und gern gebe ich mich neunzig Minuten ganz und gar dem Stück hin. Dennoch frage ich mich, gerade angesichts der so stark betonten Inklusionsbemühungen der Inszenierung, ob alle Zuschauer*innen im Saal ausreichend Deutsch verstehen. Meine Erfahrung in den Indie-Kreisen dieser Stadt lässt mich das bezweifeln.
Einige Szenen verleihen der Produktion Gewicht im wahrsten Sinn des Wortes. Jesse lässt einen dicken Ordner mit den medizinbürokratischen Dokumenten durch den Saal gehen, die sich während der chirurgischen Reise ansammelten. Mit über drei Kilo Gewicht – genauso viel wogen Jesses frühere Brüste – weckt das Konvolut in mir Gedanken über meine eigenen kleinen Brüste. Ich frage mich, wie es wäre, ihr Gewicht abzuwerfen und wie sich die Verweigerung grundlegender Bedürfnisse generell anfühlt. Im Westen finden heute auf Scham und Hass basierende Ideologien ihr Ventil in transphober Gewalt und gesetzlichen Verboten. In den USA und Großbritannien wird die Durchführung der OPs, denen sich Jesse und Heuss unterzogen haben, immer häufiger abgelehnt. Zahllosen Menschen wird so die Möglichkeit, selbst und selbstbewusst zu entscheiden ebenso genommen, wie der Zugang zu medizinischer Versorgung. Eine Tendenz, die für die Betroffenen eine Gefahr für Leib und Leben bedeutet. In einem anderen, bewegenden Moment im Stück umarmen sich Jesse und Heuss und empfinden gemeinsam, wie nah sich nun ihre Herzen sind. Instinktiv lege ich eine Hand auf meine Brust. Ich spüre mein Herz unter dem Stoff meiner Kleidung und stelle mir vor, es schlüge näher an der Oberfläche meiner Haut, in wahrer Begegnung mit der Welt und den anderen.
Übersetzung aus dem Englischen: Lilian Astrid Geese
MASTEKTOMIE. Ein bittersüßes Abschiedslied von CHICKS* freies performancekollektiv wurde vom 26.-29. September 2025 in den Sophiensælen gezeigt.