A Study in Thread von Arada Böhm und Laura Faiß verleiht weiblichem Werktalent neue Bedeutung und stellt gesellschaftliche Geschlechterklischees auf den Kopf. Die Produktion hatte am 22. Mai 2025 Premiere und war bis zum 25. Mai in der Brotfabrik zu sehen.
Rotes Garn umwebt Arada Böhm und Laura Faiß wie ein Spinnennetz, obwohl sie sich auf verschiedenen Seiten der Bühne befinden. Sie scheinen in Trance. Ein Geräusch erfüllt den Saal. Es klingt, als würde jemand in einer Schublade voller Stricknadeln wühlen. Faiß sitzt links und rollt die sie umgebenden Fäden zu einem Ball. Böhm steht rechts. Sie spannt einen Faden zwischen ihre Armen, die sie vorwärts schwingt, als seien sie Windmühlenflügel. Eine Frauenstimme vom Band bittet das Publikum, sich in die Kindheit zurückzuversetzen und an ein geliebtes Kleidungsstück zu denken, das genäht werden musste, weil es Fäden zog, zerrissen war oder einen anderen Schaden zu reparieren hatte. Die Zuschauenden sollen an die Liebe und Sorgfalt denken, mit der meist eine Mutter ihre Kleider flickte. Die Stimme aus dem Off erklärt, dass heimisches Werken – Hausarbeit – lange als „Frauenarbeit“ galt, und dass es in weniger progressiven Gesellschaften ein Narrativ gab, nach dem der Platz einer Frau ihr Zuhause war, wo sie sich um ihre Familie kümmerte, beziehungsweise neben ihren eigenen immer die Bedürfnisse anderer im Blick hatte. Die Worte scheinen etwas in Böhm zu wecken: Plötzlich kreisen ihre Arme schneller. Vielleicht ein Versuch, sich aus ihrem fadenfeinen Gefängnis zu befreien? Doch sie bleibt, wo sie ist. Derweil rollt Faiß das Garn weiter zu einem Ball, bis sich keine Fäden mehr durch den Raum ziehen und beide frei sind.
Eine Coverversion von Madonnas „Material Girl“ ertönt und die beiden Performerinnen tanzen über die Bühne. Faiß ist ganz bezaubert vom Garnball, den sie soeben gerollt hat. Immer wieder hebt sie ihn bewundernd in die Höhe. Das Duett ist ein Tauziehen, mal verspielt, mal aggressiv: Böhm scheint allerdings wesentlich wenig angetan von Faiß‘ Fleißarbeit und versucht mehrfach, wenn auch erfolglos, dieser den Ball zu entreißen. Die Gefühle der Künstlerinnen scheinen genau entgegengesetzt in einer anderen Szene, die vom Daft Punk Song „Around the World“ begleitet wird. Faiß sitzt in der Bühnenmitte und starrt mit leerem Blick ins Publikum, während Böhm sie fröhlich umtanzt und in Garn wickelt.
Im typischen Ton einer virtuellen Assistentin hören wir nun die Gebrauchsanweisung für „Deine erste Strickarbeit“. Sie leitet eine Reihe von moves ein. Wort für Wort – jeweils begleitet von einer Bewegung – erwecken Böhm und Faiß die Instruktionen zum Leben. Exakt den Befehlen aus dem Off folgend treten sie erst auf den rechten, dann auf den linken Fuß, ziehen einen Kreis mit dem Zeigefinger, lassen die Hüften kreisen und starten dann wieder von vorn. Als begännen sie beim Stricken eine neue Reihe. Irgendwann stockt die Siri-ähnliche Stimme, und auch die Bewegungen der Tänzerinnen ruckeln. Sie können nicht mehr tun, was ihnen gesagt wird.
Böhm geht von der Bühne und kehrt mit einem Schal zurück, einer unfertigen Häkelarbeit, mit der sie sich nun weiter beschäftigt, während Faiß sie drohend belagert. Nach einer Weile gibt sie ihr Werk an Faiß weiter und verweist damit darauf, dass „weibliche“ Talente und Fertigkeiten oft von Generation zu Generation vererbt werden. Immer neue Garnbälle werden auf die Bühne geholt. Am Ende verknoten sich die Fäden. In der letzten Szene tanzen die beiden Performerinnen abwechselnd Soli, eine freiere Version der Choreografie zu „Deine erste Strickarbeit“. Die Garnknoten tragen sie beim Tanzen wie eine Rüstung, und wenn sie sie an die andere weitergeben, ist diese bereit, sie anzunehmen, jedoch nicht mehr als Symbol der Arbeit, sondern als Zeichen ihrer Emanzipation von dieser. Derart empowert dekorieren sie die Bühne neu mit den verwickelten Fäden. Ihre Bedeutung bleibt spürbar noch lange nach ihrem Abgang, und uns im Publikum bleibt die Erinnerung an die Vergangenheit und ein Gefühl der Hoffnung auf das, was kommen wird.
Übersetzung aus dem Englischen: Lilian Astrid Geese
A Study in Thread von Arada Böhm und Laura Faiß feierte am 22. Mai 2025 in der Brotfabrik seine Premiere.