cie. toula limnaois, la nef des fols ©Dieter-Hartwig

Eine totalitäre kinetische Maschine

la nef des fols (2024) von cie. toula limnaios kehrte vom 24. September bis zum 4. Oktober für ein „Heimspiel“ in ihre HALLE Tanzbühne Berlin zurück. Das Stück thematisiert die altbekannte Spannung zwischen System und Delirium.

Ein faszinierendes Bühnenbild erwartet mich, als ich die HALLE Tanzbühne betrete. Zwei riesige Segel formen den Ort: das eine wie eine Hängematte horizontal über die Hinterbühne gespannt, das andere vertikal gehängt, als sollte sich in ihm der Wind fangen. Dunst wabert – von Lichtstreifen erhellt – durch den Saal. Ausgeblichene Piktogramme künden vom früheren Leben der Location: Einst spielte man hier Basketball, Tischtennis und mehr. Die Zeichen an der Wand korrespondieren mit den Zahlen auf den Segeln. Sie suggerieren, wenn auch nicht intendiert, eine Beziehung zwischen dem Akt des Messens, Anleitung und Bewegung. Bis die Vorstellung beginnt, verweile ich gedanklich bei diesem Wechselspiel der runenartigen Zeichen in der Gestalt von Ziffern, Instruktionen, Gesten. Meine Neugier auf interessante Bezüge wird von der dann folgenden Inszenierung allerdings nicht gestillt.

Inspiriert von der mittelalterlichen Allegorie vom „Narrenschiff“, die Sebastian Brant (1494) einst erdachte und Foucault später neu interpretierte, segelt la nef des fols durch die ewigen Fragen von Vernunft und Wahnsinn. Das Sujet erinnert mich an Ruben Östlunds Triangle of Sadness (2022) mit einem echten Schiff voller Narren in einer bitterbösen Satire auf kapitalistische Eitelkeiten und den Kollaps der Klassensysteme.  

Anders als Östlunds Film, der Ironie und Intelligenz smart verknüpft, spiegelt cie. toula limnaios‘ Performance jedoch nur die eigene Konfusion der Gruppe. Technisch sind die Tänzer*innen exzellent. Mit federnder, sprudelnder Energie durchpflügen sie den Raum. Doch trotz ihres Könnens, ihrer Präzision und Akkuratesse, wirkt die Produktion monoton. Ineinander verschwimmende Phasen bleiben statisch: ein flaches Kontinuum, gekonnt, ja, doch dramaturgisch im luftleeren Raum schwebend. André Lepeckis 2006 in Option Tanz formulierte Kritik am „totalitären Impetus der kinetisch-repräsentativen Maschine“ kommt mir in den Sinn:  Bewegung eher als Zwang, denn als Erkundung. Die Performer*innen klingen gewollt seriös, sie modulieren nicht. Die Choreografie mündet expressiv in der Paralyse. Performativität über nur einen Kanal. Auf Interaktion mit der realen (momentanen) Situation wird verzichtet. Als entfalte sich die materielle Welt – ob mit oder ohne Publikum – immer identisch. Ihre Strukturen erscheinen gemacht, produziert, aufgesetzt, nicht energetisch entstanden.

Die Klanglandschaft – Kinogeigen, maschinelle Drums – kommentiert die Handlung und erinnert dabei, gänzlich ironiefrei, an Piratenfilme. Die Kostüme sind eine Andeutung an die „Ästhetik der Zeit“: erdfarbene Baumwollstoffe, irgendwas zwischen ländlicher Fantasieidylle und dem neuen Herr der Ringe auf Amazon Prime. Das Lichtdesign kommt gut rüber, wenn die Tänzer*innen durch seitlich ausgeleuchtete Flecken wedeln oder sich gegenseitig mit Taschenlampen anstrahlen. Doch auch das Lichtspiel ändert den Ton nicht. Tatsächlich sehe ich nichts als illustrierte Moves. 

Beim Finale sind nur noch drei der acht Männer aus dem Ensemble auf der Bühne. Einer von ihnen zieht ein weißes T-Shirt über das Gesicht und spuckt unter starken Zuckungen eine rote Flüssigkeit. Ein anderer verschwindet im Segel auf der Hinterbühne. Der dritte trägt einen schwarzen Hoodie und zerrt Grimassen schneidend und sich verrenkend zwei weitere Hoodies über den Boden. Nach 65 Minuten Vorstellung frage ich mich: Was war das jetzt? Eine Compagnie talentierter Tänzer*innen performt engagiert ausgedehnte, synchronisierte, von Seil- und Luftakrobatik und Duetten unterbrochene Szenen, die das Tanztheater der frühen 2000er Jahre evozieren.
Einer der letzten drei Protagonisten scheint am Konsum zu sterben. Vielleicht hat er soeben den Rest des Ensembles kannibalisiert. Ein anderer ertrinkt, oktopusartig. Das Ende der Show ist intensiv. Doch das reicht nicht, um aus dem Stück eine sinnvolle Produktion zu machen.

Übersetzung aus dem Englischen: Lilian Astrid Geese


la nef des fols (2024) von cie. toula limnaios wurde vom 24. September bis 4. Oktober 2025 in der HALLE Tanzbühne Berlin gezeigt.