Fields of Tender, ein immersives, langsam-langes Tanzstück für neurodivergente Kinder und Kinder mit Behinderungen im Alter von sechs Monaten bis zehn Jahren, feierte am 13. und 14. Oktober im Rahmen von FRATZ International 2024 im English Theater Berlin Deutschlandpremiere. Nach einer Vorstellung für fünf- bis zehnjährige Besuchende sprach Inky Lee mit der Choreografin Dalija Acin Thelander.
Schon beim Betreten des Theaters, noch bevor ich den Raum sehe, nehme ich Parfumduft wahr. („Patchouli und Zimt,“ wird mir Dalija Acin Thelander später, als wir nach der Vorstellung plaudern, sagen). Ich freue mich: Dieses angenehme Aroma wird mich die nächsten anderthalb Stunden umwehen.
Gedämpftes Licht im Saal, diverse Objekte hängen von der Decke, Gegenstände von unterschiedlicher Form und Textur. Wie die Kinder, die gemeinsam mit mir diese Inszenierung besuchen, laufe ich umher und fasse alles an. Freudig realisiere ich, dass die Musik nicht zu laut ist, denn ich vergaß, meine Ohrstöpsel mitzubringen. Drei Performende, zehn Kinder, sechs Lehrende und ich teilen sich den Raum. Auch ich bin neurodivergent, aber dank der relativ kleinen Zahl von Menschen im Theater bleibe ich entspannt.
Die Performenden – Jimmie Larsson, Noah Hellwig und pavleheidler – streichen wie Tierwesen durch den Raum und stoßen Tierlaute aus. Während der Performance ziehen sie sich mehrfach um, schlüpfen in skulpturenartig gestaltete Kostüme, die mit detailreichem Zierrat und dekorativen Flicken bestickt sind. Thelander erklärt mir, dass diese Ornamente „ganz bewusst gewählt sind“, da manche Kinder indirekte Berührung dem direkten Hautkontakt vorziehen. Ein:e Performer:in nähert sich mir, streift meine Füße mit ihren Beinen, verharrt einen Augenblick, und ich ertaste vorsichtig, was sie an den Armen trägt. Ich spüre ihre Nähe. Anderswo im Saal beobachte ich ähnliche Reaktionen. Ein Kind legt zart die Hand in die Handfläche der Performenden. Die anderen berühren nur die Kostüme.
Die Tänzer:innen signalisieren mit ihren Körpern zart-zärtliche Offenheit. Sie hören, reagieren, agieren, in manchen Momenten sind sie einfach nur. Sie scheinen entspannt, doch zugleich fokussiert, engagiert. Interaktion, die von den Kindern ausgeht, lassen sie zu. Mutig präsentieren sie sich der Möglichkeit eines solchen gelegentlichen Austauschs, indem sie sich beispielweise zwischen zwei sitzende Kinder quetschen. Thelander erinnert mich daran, dass die Performenden sehr viel Übung brauchen, um einerseits auf ihre Umwelt zu reagieren und großzügig gegenüber dem Publikum zu sein, und andererseits Zeit für sich zu finden. Sie betont, dass sie – ebenso wie die Kinder – das Recht haben, sich so intensiv oder wenig auf die Situation einzulassen, wie sie brauchen oder wollen. Es ist ihr wichtig, dass die Performance in niemandes Dienst steht, kein Service für andere ist. Sie ist kein Angebot der Künstlerinnen und Künstler für die Kinder, kein Entertainment, keine Manipulation, kein Zwang. Vielmehr geht es um Co-Creation, um das gemeinsame Schaffen eines Ambientes, in dem jede und jeder handlungsfähig ist.
Wellen unterschiedlicher Kraft wogen durch das Theater. Fasziniert, gebannt schauen die Kinder zu, wenn alle Performenden in schnellem Tempo tanzen. Sie selbst erobern den Raum, laufen herum, spielen mit den Requisiten, erfinden eigene Spiele, wenn die Künstler:innen sich ruhiger verhalten und weniger bemerkbar machen. Die Kinder sind neugierig und fröhlich, ein wenig verhalten zwar, doch sehr real und lebendig. Ich muss lachen, als ich ein Kind beobachte, das flink wie ein Wiesel vor einer:m sich nähernden Performenden wegkrabbelt. Ein anderes Kind tanzt durch den Saal, die Bewegungen der Performenden nachahmend. Diese lächeln freundlich. Sie zu sehen, macht mich glücklich, und immer noch genieße ich den wunderbaren Duft im Raum. In manchen Momenten liegen wir alle nur da, alle zusammen in völliger Entspannung.
Staunend folge ich den Schatten, die die an der Decke hängenden Objekte auf den Boden werfen, wann immer sich das Licht ändert. Ich zeige mit dem Finger auf sie, stehe auf und folge ihren bewegten Spuren, wissend, dass, wenn ich müde werde, ich mich einfach hinlegen und ausruhen kann. Ich lege mich hin. Ein Kind legt sich neben mich. Ich spüre seinen Blick, beschließe, mutig zu sein, auch ihn anzuschauen und zu lächeln. Schüchtern dreht er den Kopf weg. Später, als er geht, lächelt er mich an und winkt mir zu. Ich freue mich darüber.
©Rokas Snarskis
Thelander nennt diesen Raum, in dem die Kinder sein können, wie sie wollen, „Mikroutopie“. Hier sind sie frei vom Druck, sich „benehmen“ zu müssen, damit die „normativ und neurotypisch geregelte“ Gesellschaft sie akzeptiert. Ihre Kunst will die sozial akzeptierten funktionalen, zielorientierten und restriktiven Systeme nicht replizieren.
Ich frage sie, was ihr bei der Produktion von Werken für neurodivergente Kinder am besten gefällt. „Sie stark zu sehen,“ antwortet sie und vermittelt mir die „fundamentalen Aspekte“ ihrer Arbeiten: Das Publikum nicht als homogene Gruppe begreifen; ein immersives Ambiente schaffen, in dem sie Kinder frei bewegen können, in dem sie nicht gezwungen sind, still zu sitzen und in eine Richtung zu schauen, denn dies ist „unnatürlich“ (gegen ihre Natur) und damit „Gewalt“ (die wir ihnen antun); langsam-lange (lang dauernde) Inszenierungen anbieten, da neurodivergente Kinder Zeit brauchen, um wahrzunehmen, zu verarbeiten und zu reagieren; Bewegung als primäres Kommunikationsmittel einsetzen und eine sensorisch stimulierende Umgebung gestalten.
Thelander möchte auch die Erwachsenen in ihre Stücke einbeziehen. Auch sie sollen sich entspannt fühlen, denn Erwachsene jenseits ihrer „Funktionszone“ zu sehen beeinflusst das Verhalten der Kinder auf positive Weise. Vielleicht empfand ich deshalb die Fields of Tender als Geschenk. Hier konnte ich wieder Kind sein, fröhlich und neurodivergent, frei von den Blicken der Autoritäten und von erzwungener Selbstzensur.
Übersetzung aus dem Englischen: Lilian Astrid Geese
Fields of Tender von Dalija Acin Thelander hatte am 13. und 14. Oktober im Rahmen von FRATZ International 2024 im English Theater Berlin seine Deutschlandpremiere.