Hands Made, Begüm Erciyas ©Beatrice Borgers

Eine andere Art von Begegnung

In Begüm Erciyas „Hands Made“ stehen die Hände der Zuschauer*innen im Rampenlicht und eröffnen Räume der Begegnung und Mehrdeutigkeit. Am 8. und 9. Februar kann das Stück im Radialsystem erlebt und mitgestaltet werden.

Ich bin vollständig im Dunkeln. Es macht keinen Unterschied, ob ich die Augen öffne oder schließe. Stille.

Ich trage Kopfhörer und sitze in einer Art Kabine, neben einer Person, die ich nicht sehen kann. Ein kleiner Scheinwerfer beleuchtet nach und nach ein kleines Pult vor mir. Über die Stimme in den Kopfhörern wird die Person neben mir aufgefordert ihre Hand auf das Pult zu legen. Lange passiert nichts. Dann, sehr zögerlich, bewegen sich ein paar Finger an den Rand der Platte. Langsam streicht eine Hand über das Pult, nach oben, zögert, stoppt. Ich beobachte die Nägel, die Gelenke der einzelnen Finger, die Adern auf dem Handrücken, die leicht rötliche Haut, die Poren auf der Haut und die kleinen Härchen. Nach einer Weile werde auch ich aufgefordert meine Hand auf das Pult zu legen. Mein Nagellack glitzert im Licht. Ich hätte meine Nägeln vorher schneiden sollen. Meine Adern stehen weiter heraus, als die der anderen Hand und sind dunkler. Meine Haut ist trocken. Ich konnte meine Handcreme vorhin nicht finden. Jahre an Neurodermitis und Kortison-Creme, die Gastro-Jobs mit ständiger Feuchtigkeit, Spül- und Putzmitteln lassen meine Hände alt erscheinen.

Die Stimme in unseren Ohren gibt uns weitere Aufgaben. Wir bewegen uns nacheinander, gemeinsam, rhythmisch und in wechselndem Takt, zu der Geräuschkulisse, zu der ich Fabrik assoziiere. Wir kopieren die Bewegungen der anderen Hand, versuchen auch die kleinsten Details nachzuahmen. Irgendwann ist nicht mehr klar, wer die Bewegung initiiert und wer folgt – wir sind ein Körper geworden, mit Bewegungsabläufen, die sich verselbstständigt haben und einem Gehirn, das außerhalb unserer beiden Köpfe liegt. Wir sind beide Teil eines routinierten Ablaufes.

Hände, die arbeiten. Andere Hände, die für diese Hände arbeiten. Wiederum andere Hände, die statt dieser arbeiten.

Ich denke an die Hände meiner Mutter. Seit Monaten hat sie eine offene Stelle am Daumen, die nicht heilt, weil sie täglich mit Putzmitteln in Berührung kommt. Ich denke an die Hände, die an diesem Samstag arbeiten, damit ich hier im Theater sitzen kann. Mich kognitiv mit Hand-Arbeit auseinander setzen kann, statt mit meinen Händen zu arbeiten. Ich denke an die Hände, die nah dran und weit weg unter Bedingungen arbeiten, unter denen ich nie arbeiten musste. An die Handrücken, die meinen relativen Wohlstand tragen.

Die Stimme aus dem Off bringt mich dazu, mir vorzustellen, wie es wäre, die andere Hand zu berühren, sanft mit meinen Fingerkuppen über die Haut der anderen Hand zu streichen. Wie es wohl wäre, wenn diese Hand über meine Hand streicht. Ich fühle mich erstaunlich vertraut mit der Person neben mir, obwohl ich nichts über diese Person weiß, bis auf dass sie manchmal schwarze Schuhe mit roten Details trägt und ein iPhone besitzt. Ich verspüre den Drang mit meinen Fingern zwischen die Finger der anderen Person zu gleiten und zuzudrücken, festzuhalten und gehalten zu werden.

Langsam schwindet das Licht. Ich will nicht, dass das Stück zu Ende geht.

Draußen versuche ich die schwarzen Schuhe mit den roten Details zu finden. Ich sehe sie nicht. Ein Teil von mir ist froh darüber, die Magie des Nicht-Wissens bleibt erhalten.


Hands Made von Begüm Erciyas wurde am 8. und 9. Februar 2025 im Radialsystem gezeigt.