Aurora, Lina Gómez ©Dieter Hartwig

Ein Kleid in den Farben der Zeit

Mit Aurora und im Spiel des sich erhellenden Lichts begegnete Lina Gómez’s Tanz den Klängen von Alejandra Cárdenas (Ale Hop) und Bruno Pocheron beim soundance festival berlin 2025 am 22. Juni im DOCK 11.

Aurora beginnt wie die Stille vor der Morgendämmerung. Aurora entfaltet sich im Abendlicht am Prenzlauer Berg, kurz bevor die Sommersonne untergeht. Lina Gómez lehnt sitzend an der hinteren Ziegelwand und betrachtet die Gäste der Nacht, die langsam in den Saal strömen. Das Licht ist gedimmt und diffus, irgendwo zwischen Helligkeit und Schatten, Vergangenheit, Gegenwart und einen Hauch von Zukunft mischend: Ausblenden, Ankommen, Ruhe in Bewegung, Klarheit.

Ale Hop produziert ambiente, experimentelle Resonanzen, mit E-Gitarre und modularem Synthesizer. Der Sound erinnert an Robert Fripp und Brian Eno. Im Verlauf der Performance wird die Klanglandschaft dekonstruiert. An frühe Synthikompositionen erinnernd entwickeln sich die Soundscapes mit jeweils eigener, neuer Realität, mit Schallimpulsen, Schellen, Rieseln und Schimmern, ohne erkennbare Übergänge, eine fließende Transformation.

Gómezs Tanz scheint wie die Sonne, die über der schlafenden Erde aufgeht, mit glitzernder Regung, aufstrebend aus ihrem Innern, ihr Körper ein Ventil, über das sich die Kraft im Raum entfaltet. Sie regt sich, wie eine responsive, resistente Substanz, ein Körper aus Wasser und Luft, durch das Strömungen und Böen fließen. Sie tanzt, sie gleitet, sie schwebt, Energie sprudelt aus ihr, wirbelnd, spiralig, wellig. Gómez improvisiert auf höchstem Niveau, ihr Tanz ein kreatives Arrangement aus Zeit und Raum, niemals Diktat konventioneller, systematischer Koordinationen. In der Verkörperung des „Neubeginns“ der Morgendämmerung testet Aurora nicht Innovation, sondern speist sich aus zeitlosen Naturphänomenen, die sich den komplex-breiten elementaren Zyklen hingeben, die uns leiten.


©Dieter Hartwig


Aurora, der Titel des Werks, bezieht sich auf eine unbändige Göttin, die sich an den Partikularitäten des Präsenten in Form von Klang, Licht und Tanz erfreut. Gómez performt, und ein fernes Lächeln umspielt ihren Mund, lässt ihre Augen hinter den immer wieder vor ihr Gesicht fallenden Haarsträhnen strahlen.

In ihrem golden, grün und blau schillernden Chiffon-Top, dessen Farben zu einem tiefen Weinrot verschmelzen, bewegt sie sich durch unmerklich wechselndes Licht. Plötzlich verschwindet sie in einer Nische rechts auf der Bühne und taucht mit helleren, bläulich-violett schimmernden Pants wieder auf. Der Himmel klart auf. Es wird Tag. Lange Stoffbahnen liegen in den Ecken, ziehen sich an den Bodenleisten entlang. Sie sind dunkel-pflaumenfarben, genau wie ihr Top. Ob sie irgendwann direkt mit dem Bühnenbild oder den Requisiten interagieren wird, frage ich mich. Das Motiv ist beliebt im zeitgenössischen Tanz. Doch ich stelle mit Freude fest, dass der Stoff als Teil des Ambientes liegen bleibt, einzig mit der Lichtintensität farblich variierend.  Gómez dreht sich anmutig im Raum. Langsam zieht sie ihr durchscheinendes Top über den Kopf und knüllt es in der Faust, bis es nicht mehr zu sehen ist. Helle Lichter verschwinden wie Sterne und tauchen wieder auf, dauerhaft-ewig existent. Gómez tanzt dicht vor der ersten Reihe. Dann gibt sie das glänzende Ding einem Kind: eine einfache, erhellende Übergabe.

Übersetzung aus dem Englischen: Lilian Astrid Geese


Aurora von Lina Gómez wurde am 22. Juni im DOCK 11 im Rahmen des soundance festival berlin 2025 aufgeführt.