Heizhaus, Uferstudios © Thore Rehbach

Choreografische Prozesse statt Produkte

Zum Abschluss des dreimonatigen Festivals AUSUFERN in den Uferstudios in Wedding wurde das dazugehörige Heizhaus mit einer 25-stündigen Performancereihe eingeweiht. Es soll ein Ort der prozesshaften künstlerischen Begegnungen werden, der die Stadtgesellschaft involviert.

Die vierte Ausgabe des Festivals AUSUFERN war die Vorankündigung eines Neuanfangs für die Uferstudios und ihre Nachbarschaft. Anders als in den letzten Jahren, wo das Festival auf die unterschiedlichen Räume der Uferstudios verteilt war, haben sich diesmal alle Künstlerinnen auf das Heizhaus und seine besondere Architektur fokussiert. Mit den Arbeiten von Jule Flierl, Göksu Kunak & Laure M. Hiendl, Yvon Chabrowski und Felix M. Ott war das ehemalige Kraftwerk für drei Monate das Zuhause für einen Bewegungschor, ein Performance- und Musiktheaterstück , eine Video-Installation und eine “Symphonie des Bauens”. Der Choreograf Felix M. Ott war zum Teil selbst in den Bauprozess des Heizhauses involviert und hat Rohmaterial für seine Arbeit gesammelt. Das Festival war diesmal als ein Anheizen des Heizhauses gedacht. Die Räume werden zukünftig Künstlerinnen unterschiedlichster Herangehensweisen und ästhetischer Richtungen beherbergen, die für ihre choreografische Arbeit eine gewisse Verweildauer benötigen. Im Sinne von Residenzen wird das Heizhaus ein Arbeitsort ohne Produktionsstress sein. Von Musik bis zu Installationen, viele Disziplinen und Formate funktionieren im Heizhaus gut. Laut Simone Willeit, einer der beiden Geschäftsführerinnen der Uferstudios, sollen diese im besten Falle Arbeiten sein, die sich sowohl mit dem Ort und seiner Architektur auseinandersetzen als auch die Öffnung der Uferstudios für die Nachbarschaft und in die Stadtgesellschaft als Ziel haben. “Wie genau das funktionieren wird, wissen wir noch nicht. Das ist ein Luxus aber auch ein Risiko. Wenn man prozessual arbeitet, ist eine gewisse Spannung dabei, was am Ende überhaupt passiert.”

Die Neugier auf ungewisse künstlerische sowie soziale Prozesse und ungeplante Begegnungen war auch bei der Eröffnung am vergangenen Samstag das Verbindende. Die 25-stündige Performance hat dabei einen Mikrokosmos geschaffen, der symbolisch für die Zukunft des Heizhauses als ein Ort der Prozesse steht. Leute gingen und kamen und waren Teil unterschiedlicher situativer Settings. Angefangen hat es mit einem gemeinsamen Tanz mit Bella Hager und Lea Martini. Darauf folgte ein Ritual der Kopfmassage mit Modjgan Hashemian (in Kollabaration mit Kaveh Ghaemi und Grupo Oito begleitet von Live-Musik). Es wurde unter anderem mit Pepe Dayaw Resteküche gekostet, mit den Mädchen von MÄDEA/Stiftung SPI gegen Rassismus und Sexismus gerappt, ein imaginäres Künstlergespäch geführt, mit den Kampfkünstlern von Aikido Dojo vom Gleisdreick trainiert, meditiert, getanzt und auch mal nichts gemacht. Mit einem Feuerritual spät in der Nacht wurde das Heizhaus nochmal angeheizt. Die Hitze als Element war im doppelten Sinne gedacht: Das Anheizen des Hauses mit dem riesigen Schornstein als Blickfang als ein Ort des künstlerischen Experimentierens und das Anheizen der Nachbarschaft. “Nicht immer aus dem eigenen konzeptionellen Denken zu werben, sondern zu suchen, was eigentlich schon vorhanden ist.” So erklärt Willeit die Vernetzung mit der Nachbarschaft und anderen Kiezen. “Wo könnte man darüber streiten, wo könnte man darüber sprechen, wo könnte man gemeinsam arbeiten mit Initiativen, die uns als zeitgenössischem Tanzort vielleicht nicht so nahe liegen?” Diese Fragen beschäftigen sie und die Antworten brauchen Zeit und gegenseitiges Vertrauen, aber auch Reibung. Es ist wichtig zu betonen, dass diese Zusammenarbeit nicht als etwas “Gebendes” oder “Schenkendes” in die Nachbarschaft, sondern als ein gegenseitiger Denkprozess gedacht ist. Hinter der Diversität des Eröffnungsprogramms unter der Kuration des Künstlerkollektivs PSR (Performance Situation Room) steckte genau dieser Ansatz. PSR wurde für die Konzeption der generellen Bespielung des Heizhauses informell zusammengerufen und hat dann weitere Künstlerinnen eingeladen. Dieses Konzept ist auch die Zukunft des Heizhauses: Ein Ort, der von Künstlerinnen für Künstler*innen betrieben wird und über Einladungen und Kettenkuration funktioniert, auch wenn die nötigen finanziellen Mittel dafür noch fehlen. Herausforderungen und Experimente sind im Heizhaus Programm.

Für Barbara Friedrich, die mit Simone Willeit die Geschäftsleitung der Uferstudios bildet, waren die Bauarbeiten die größte Herausforderung im ganzen Prozess. Die Uferstudios haben das Heizhaus 2012 mitgeerbt. Danach wurde es sporadisch als ein Veranstaltungsort genutzt, z.B. für Formate von apparatus, für Konzerte, aber eher als Zwischennutzung veranstalteten, da die Technik nicht funktionierte. Die Renovierung des Heizhauses ist ein aufwändiger Prozess, der seit über einem Jahr andauert und vermutlich noch bis Ende dieses Jahres laufen wird. Es gab zuvor keine Fenster, jeder einzelne Stahlrahmen wurde repariert, der Boden erneuert. Der Raum hat mit seiner Fläche von 170 Quadratmetern und seiner Höhe von 11 Metern ganz besondere Anforderungen. Er ist schwierig zu beheizen, vor allem wenn man bedenkt, dass eine Fußbodenheizung für Performer*innen keine Option ist. Das Nebeneinander von Veranstaltungen und Bauarbeiten stellt allerdings nicht nur Herausforderungen dar. Laut Friedrich kann man hier viel improvisieren. “Ich bin immer ein großer Freund von Zwischennutzung während des Bauens, weil es eine Information, eine Erkenntnis durch die Nutzung gibt”, sagt Friedrich, die nach dem Ende der Bauarbeiten in Rente gehen wird.

Das Heizhaus wächst vor den Augen seines Publikums und mit seinem Publikum. Das Publikum ist in diesem Resonanzraum keine passive Masse, sondern teilweise in die Vorplanung der Konzeption involviert. Wie gehen die Menschen in diesem Raum miteinander um, körperlich und geistig? Welche atmosphärischen Situationen schafft das Mit- oder Gegeneinander? “Das ist das Choreografische daran – ohne eine Tanzperformance oder ein Produkt”, sagt Willleit. “Soziale Choreografie ist ein älterer Begriff, der immer wieder neu angepasst werden soll. Da haben wir versucht, einen diskursiven Rahmen zu finden, ohne ein Label daraufgesetzt zu haben.” Der Versuch wird im November mit “FERMENT:MUTTERKORN” von apparatus weitergehen.


Alle Fotos © Thore Rehbach