Inner Mining – experiment #1: voice ist eine Choreografie von Jule Flierl und feierte am 24.04.2025 im Dock 11 Premiere. Es performen bottom up productions: Chihiro Araki, Felipe Fizkal und Julek Kreutzer.
ONE and TWO and THREE and FOUR. And ONE and TWO and THREE and FOUR. Im Vierertakt beschreibt Jule Flierl den Rhythmus oder vielmehr den Trott des Lebens. ONE and TWO and THREE and FOUR. Ein Schritt nach rechts, nach vorn, nach links, nach hinten. Im Viereck bewegen sich die Performer*innen. Stumm. Immer nur ein Schritt nach dem anderen und mit starrem Blick nach vorn. Mal zu dritt, mal zu zweit, mal allein. Immer wieder ruft Jule Flierl jemanden aus der Formation heraus. Diese Formation hat etwas Militärisches: Wenn sich die Performer*innen aus der Formation lösen, dann scheinen sie viel mehr zum Dienst an- und abzutreten als von der Bühne auf- und wegzutreten. Ihr Gang bekommt etwas Herbeigerufenes. Sie gehen mit gesenktem Blick und die Arme hängen steif zur Seite herunter. Sie wollen sich nicht in diesem Viereck bewegen und sie wollen auch nicht immer angelaufen kommen, um Teil dieser Formation zu sein. Und was wollen sie?
So scheint er zu sein, der Trott des Alltags und der Arbeit. Kein Entrinnen, alles schön im Takt. Jule Flierl und Crew fragen sich, wo bleibt dabei unsere Stimme? Ist sie noch da? Können wir unser Inneres nach außen kommunizieren oder haben wir verlernt auf unsere innere Stimme zu hören? Der Takt ist beklemmend, besonders dann, wenn den drei Performer*innen Perlen statt Worte aus den Mündern kullern, während sie immer noch im Vierertakt durch das Viereck des Lebens schreiten. Perlen, die an ihren Füßen kleben bleiben und die sie unauffällig versuchen abzuschütteln, bevor sie den Fuß wieder auf den Boden setzen.
Und als gar nichts mehr geht, da versuchen sie ihre Stimmen in sich zu finden. Noch bleiben sie in der Formation. Aus einem Atmen werden kleine sachte Töne, aus kleinen zaghaften Tönen wird Gejammer und aus Gejammer wird ein kaum zu ertragendes Heulen und Schreien. Warum es sich trotzdem aushalten lässt? Weil die Choreografie in ihrem Viertakt und als Vierergespann ein humorvolles Timing entwickelt. Die Suche nach der Stimme wird zu einem Wettbewerb zwischen den Akteur*innen. Wer kann lauter und gequälter schreien? Wer zuletzt schreit, schreit am besten. Selbst in der Verzweiflung wollen wir besser sein als unser Gegenüber. Genau in dieser Übertreibung verlassen die Performer*innen den gewohnten Vierertakt.
In der Performance gibt es einen Bruch. Die Performer*innen Chihiro Araki, Felipe Fizkal und Julek Kreutzer setzen sich auf Stühlen in die Bühnenmitte und interviewen sich gegenseitig über die Strapazen des Tänzer*innendaseins. Was von diesem Gespräch bleibt? Erst, wenn wir an unsere Grenzen stoßen oder sie gar überschreiten, halten wir auf einmal inne, atmen durch und hinterfragen das System um uns herum und unsere Bewegung darin kritisch. Doch wünschenswert wären Mechanismen, die uns schon vorher einmal durchatmen und uns unsere innere Stimme hören lassen. So wie es diese Performance schafft. Und genau dieser Schritt sollte besonders in der Kunst möglich sein – ein Heraustreten aus dem System und dem Gleichtakt.
Inner Mining – experiment #1: voice von Jule Flierl feierte am 24.04.2025 im Dock 11 Premiere.
