Unter dem Titel What survives the night? – Wir heizen die Zukunft auf und löffeln die Suppe der Gegenwart aus! trafen sich am 13. und 14. Dezember 2024 ca. 80 Akteur*innen der freien Tanz- und Performanceszene Deutschlands im Heizhaus. Die zentrale Frage der Veranstaltung: „Sind wir schon im Überlebensmodus oder was sind die Fragen, die wir teilen wollen, um im Handeln zu bleiben?“
Die Abschlussveranstaltung des Bundesförderprogramms TANZPAKT RECONNECT unter kuratorischer Leitung von Jenny Beyer, Anne Kersting, Antje Pfundtner und Ursina Tossi ist teils Krisensitzung, teils aktivierende Impulsgebung mit Blick auf die nächsten dunkel-anmutenden Jahre.
Wir atmen gemeinsam ein.
Der Abend im Heizhaus beginnt mit Apnoetraining, angeleitet von Lea Pischke und Natalia Wilk. Mit geschlossenen Augen holen wir gemeinsam Luft und versuchen diese so lange wie möglich anzuhalten. Es gibt wohl keine Rezeptoren in uns, die Sauerstoffmangel signalisieren. Ein Überschuss an Kohlenstoffdioxid wiederum kann erkannt werden und ist Auslöser des unwohlen Gefühls, das unmittelbar in uns einsetzt. Ein atemloser Tanz entsteht: ein langsamer Reigen in der Mitte des Raumes, dem sich nur ohne Atem angeschlossen werden kann. Um wieder Luft zu holen, muss der Kreis verlassen werden. So viele unterschiedliche Zeitlichkeiten und Durchhaltevermögen in einem Raum. Personen steigen ein, steigen aus und doch kreist eine atemlose Mitte meditativ und mit ruhigen Schritten.
Wir halten den Atem an.
Nach dem gemeinsamen Einstieg werden drei Gruppen gebildet. Im Café sammelt sich die Gerüchteküchegruppe und streut beim Suppekochen „erprobte wie nicht erprobte Arbeits- und Fördermodelle“. Im Heizhaus werden Methoden der kollektiven Tanzpraxis erprobt. Ich finde mich in der von Anne Kersting und Sheena McGrandles geleiteten Feuergruppe wieder. Um Papierschredder versammelt, diskutieren und zerstören wir unerwünschte Verantwortungen, veraltete Strukturen und fehlgeleitete Lösungen. Es scheint zu Beginn leichter zu fallen, Wünsche fortschrittlicher Modelle zu formulieren, als schon Existierendes zu schreddern. Die bevorstehenden Kürzungen, die nicht nur in Berlin drohen, erschweren das eiskalte Schreddern selbst unzufriedenstellender Strukturen. Denn was bleibt denn dann noch übrig? Doch Übereinstimmungen, so wie Meinungsverschiedenheiten befeuern die Diskussion und das erleichternde Gefühl, Veraltetes durch den Schredder zu jagen, kann genossen werden. Die Vergewerkschaftung der freien Tanz- und Performanceszene steht als großer Diskussionspunkt im Raum, bevor Hermann Heisig singend die Gruppen unterbricht.
Wir atmen laut aus / auf.
Wie zu Beginn des Abends atmen alle gemeinsam ein. Doch statt die Luft anzuhalten, ist die Aufgabe, bei jedem Ausatmen einen Ton zu produzieren. Es entsteht ein Klangteppich, der mal an ein heulendes Wolfsrudel, mal an das Stimmen von Orchesterinstrumenten erinnert. Es ist ein Moment des Zusammenseins, bevor das Buffet eröffnet wird und sich alle wieder verstreuen.
Wir dürfen nicht außer Atem geraten.
Nach einer ergiebigen Essenspause vertonen Jule Flierl, Therese Bendjus und Pelusia Eindrücke des Abends. Zitate aus Gesprächen werden hör- und fühlbar gemacht.
“Let’s meet our collectives out of desire, not out of necessity.” (Lasst uns unsere Kollektive aus Lust, nicht aus Notwendigkeit treffen.)
“We don’t take money from other pots, we demand completely new pots to be opened.” (Wir nehmen kein Geld aus anderen Töpfen, wir verlangen, dass ganz neue Töpfe aufgemacht werden.)
Mit Humor, emotionaler Tiefe und harmonisierten Jazzstimmen fassen die drei den langen Abend zusammen. Mit einem kollektiven Cheer zu “Systems that can always throw you out are no solution.” (Systeme, die dich jederzeit rauswerfen können, sind nicht die Lösung) endet die performative Intervention und für mich der erste Tag dieser Veranstaltung.
Wir halten einander in Atem.
Am nächsten Morgen versammelt sich der Großteil der Teilnehmenden wieder im Heizhaus, um zu besprechen, was die Nacht überstanden hat und wo sofort etwas getan werden kann. Douglas Bateman mischt die Gesprächspartner*innen neu und bittet, konkrete Ziele an die Wand zu kleben. Es geht viel ums Durchhalten und Weitermachen, um Teilhabe und darum, die Sinnlichkeit der eigenen künstlerischen Arbeit nicht zu verlieren. Doch zwei Punkte hallen nach den intensiven Diskussionen und Interventionen besonders nach: Kompliz*innenschaft und Zugänglichkeit. Es gilt, noch weiter zusammenzurücken, gemeinsam laut zu werden, laut zu bleiben und sich nicht gegeneinander ausspielen zu lassen. Mit Blick auf die Zukunft ist es hierbei jedoch besonders wichtig, solche Diskussionen in Räumen zu führen, die das breitere Spektrum der eigentlich so diversen Tanz- und Performancelandschaft verkörpern. Auch unter den Kurator*innen stellt sich die Frage, wie und ob eine ähnliche Veranstaltung unter Einbindung des Publikums und einem größeren Teil der Tanzszene stattfinden kann. Oder wie Madeline Ritter es in ihrer Rede am ersten Abend formulierte: „Die Nacht gehört uns, wenn wir sie gemeinsam gestalten.“
Wir brauchen den längeren Atem.
Kuration: Jenny Beyer, Anne Kersting, Antje Pfundtner, Ursina Tossi – Projektleitung: Hannah Melder – Raum: Irene Pätzug – Assistenz: Anngret Schultze – Fotos: Jubal Battisti – Dokumentation: Johannes Miethke, Elisabeth Nehring – Catering: Patrick Blasa – Kompliz*innen: Douglas Bateman, Therese Bendjus, Jule Flierl, Edan Gorlicki, Hermann Heisig, Jetzmann, Sheena McGrandles, Pelusia, Lea Pischke, Anna Till, Natalia Wilk